Thrillerkolumne

Thriller ohne Leserstrahlen ist wie Spenser ohne Boston, Behr ohne Indianapolis, Reacher ohne Army, Rain ohne Judo, Parker ohne Plan, Bolitar ohne Win, Forsythe ohne Whisky, McGee ohne Florida, Hank ohne Baseball, Duffy ohne Beemer...

Stroud, Black Water Transit (3/5) LESEN


NICHT MIT SPANDAU

Das schlechteste an Carsten Strouds Roman "Black Water Transit" ist der Nachname seiner Protagonistin. Wieso nennt man eine schwarze, toughe NYPD-Polizistin nach einem Berliner Bezirk, der nichts mit den Five Burroughs gemein hat? Aber von diesem Tiefpunkt geht es nur in eine Richtung. Nach oben.

MacDonald, The Lonely Silver Rain (5/5)

Ausgebootet

Im 21. und letzten Roman der Reihe um Travis McGee soll dieser ein Boot finden. Wie immer winkt ihm die Hälfte des Wertes des gesuchten Objekts als Finderlohn. Die Yacht gehört einem reichen Frührentner aus Florida, der es mit seiner Frau nun ganz mondän angehen lässt. Wie alle Figuren hat auch besagte Ehefrau eine interessante Vorgeschichte, die just in dem Moment wieder aktuell wird, in dem McGee in ihr Leben tritt.

Winslow, Isle of Joy (4/5)

Reif für die Insel

Bevor Don Winslow in entlegene Sphären schriftstellerischen Könnens aufstieg, schrieb er handwerlich saubere und ausgefeilte Thriller. Dazu gehört Isle auf Joy.

Huston, Deathlok (4/5)

Kaputter Kaputtmacher

Mit "Deathlok. The Demolisher" widmet sich mein Lieblingsautor Charlie Huston ein weiteres Mal einem Marvel-Helden. Die Geschichte spielt in einer nicht weit entfernten Zukunft, in der das Unterhaltungs-/Waffenunternehmen

MacDonald, The Scarlet Ruse (3/5)

Seltenheitswert

Hausbootbewohner Travis McGee ist nach einiger Abstinenz wieder als "Sachensucher" im Florida der 70er Jahre im Einsatz. Sein Freund Meyer vermittelt ihm den Auftrag eines Briefmarkenmaklers. Der Philatelist Fedderman vermutet, dass er betrogen worden sein könnte. Rasch wie so oft gerät McGee tief in die

Child, Never Go Back (5/5)

Romeo und Julia und Reacher


Herbst. Wie jeder weiß, hat diese Jahreszeit ungefähr 400 schöne Seiten. Denn immer im Herbst kommt Reacher. Und wenn Reacher kommt, fallen statt der Blätter Schurken. In „Never Go Back“ gelangt Reacher endlich, endlich, endlich ans Ziel seiner vier Romane dauernden Reise nach Virginia. Hier möchte er Major Susan Turner persönlich treffen. Weil seine Nachfolgerin als Kommandeurin der 110. ihm am Telefon so sympathisch war, hat Reacher keine Mühe gescheut, um den Weg von South Dakota nach Virginia zurückzulegen. Klingt wie die Überschrift nach Liebe, hat aber viel mehr zu bieten, gerade im Gewaltbereich.

Stephenson, Cryptonomicon (5/5)

Schlüsselroman

Neil Stephensons "Cryptonomicon" geht mit fast zwölhundert Seiten an die Grenzen der Fassbarkeit. Einmal, weil das Buch tatsächlich schwer zu halten ist. Andererseits, weil die geschilderten Szenen und Verstrickungen aus dem Zweiten Weltkrieg Abenteuer pur sind und Einblick in eine Welt gewähren, die sonst verborgen bleibt: die Welt der Ver- und vor allem der Entschlüsselung.
In zwei parallel zueinander erzählten Geschichten berichtet Stephenson von mehreren Kriegen, die Teile des Zweiten Weltkriegs waren. Der Krieg im Pazifik, der mit dem Angriff auf Pearl Harbor begann und dem Abwurf der Atombomben auf Japan endete, wird speziell mit Blick auf die Philippinen erzählt. Japaner gegen Amerikaner. Japaner gegen Zivilbevölkerung. Alle gegen die Grausamkeit des Dschungels. Der Krieg der U-Bootfahrer wird erzählt genauso wie der Krieg des Generals Douglas MacArthur. Am wichtigsten aber ist die Geschichte, die dem Roman das Gerüst bietet: Der Krieg der Verschlüsselungsexperten.

Die Geheimdienstleute der Alliierten rund um den, offensichtlich unter dem Asperger-Syndrom leidenden, Waterhouse konstruieren während ihres Krieges gegen die Achsenmächte die ersten Computer. Diese dienen keinem anderen Ziel als die Funksprüche der Feinde zu entschlüsseln. Erst sehr viel später gründen und verkaufen die Nachfahren von Waterhouse im Silicon Valley Soft- und Hardware Firmen wie andere Leute gebrauchte Kinderklamotten.
 
Die Verbindung zwischen den beiden Geschichten in den vierziger und neunziger Jahren ist das Gold, das die Japaner im Pazifik versteckten, bevor ihr Reich und ihre Herrschaftsansprüche atomisiert wurden.
 
Die mit Abstand besten Momente des Romans sind die Schilderungen der Erlebnisse des Soldaten Shaftoe. Er ist das Paradebeispiel des amerikanischen Marines. Wie in der Hymne der Marines war er von Guadalcanal bis Afrika und den weiteren Schlachten im Pazifik und der Nordsee an allem beteiligt, was ein Soldat nur sehen konnte. Besonders ein traumatisches Erlebnis vor einer Höhle auf Guadalcanal lässt Shaftoe, der ansonsten jedoch unendlich stoisch und leidensfähig ist, nie wieder los. Mit ihm zeichnnet Stephenson den Prototyp des Marine-Helden ohne dabei die Grenzen zu blindem Pathos und Lobhudelei auch nur zu streifen. Das glückt ihm, weil die lustigsten Episoden des Buches allesamt Shaftoe und dessen trockenem Heldentum zuzuschreiben sind. Ihm ähneln höchstens die Passagen zu Goto Dengo, einer Art japanischem Pendant zu ihm.

In vielen Verstrickungen und mit einem gerade noch so erträglichem Maß an Mathematik und Verschlüsselungstechnik erstehen die Probleme der Kryptographen hier wieder auf. Im Zusammenhang mit den aktuellen Enthüllungen zu den Spionageprogrammen der USA liest sich das Buch wie eine Einleitung. Natürlich will die NSA alles lesen können. Selbstverständlich stellt jedo Form der Codierung, die neu ist, eine Herausforderung dar: einerseits für Theoretiker und Entschlüsseler und andererseits für besorgte Politiker und Militärs.

Wenn an diesem kurzweiligen Roman irgendetwas abfällt, dann die Geschichte, die in den neunuziger Jahren spielt. Vielleicht hätte der Schinken so 400 Seiten schmaler werden können. Trotzdem, "Cryptonomicon" ist ein wunderbarer Roman für alle, die sich für eine neue Sicht auf den Zweiten Weltkrieg, die Frühgeschichte der Computer, die Philippinen und die Start-ups im Silicon Valley interessiert. Mit dem Protagonisten Waterhouse scheint Stephenson außerdem eine Vorlage für Sheldon Cooper aus der Fernsehserie Big Bang Theory geliefert zu haben.

  • Plot: Vieles im Verborgenen (5/5)
  • Action: Shaftoe zieht's durch (4/5)
  • Spannung: Mehr als eintausend Seiten mit "Wie geht's weiter?" (4/5)
  • Charaktere: Shaftoe, Waterhouse, Goto Dengo, America, der Dentist (5/5)
  • Humor: Trocken - sogar im tiefsten Dschungel (5/5)
  • PASCH: Kategorie Lieblingsbuch (5/5)

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Neal Stephenson, Cryptonnomicon
Verlag: Manhattan (1999) 
ISBN-10: 3442545293

Huston, Skinner (2/5)

Huston, Sie haben ein Problem

Charlie Huston ist für mich mit seiner Joe Pitt-Reihe (Already Dead (Joe Pitt)), der Hank Thompson-Trilogie (Caught Stealing: A Novel) und seinen alleinstehenden Romanen (v.a. The Mystic Arts of Erasing All Signs of Death: A Novel) einer der kreativsten Köpfe unter den aktuellen Action- und Thriller-Autoren. Mit seinem neuesten Roman "Skinner" bleibt er leider weit hinter meinen Erwartungen zurück. Die Geschichte ist nicht spannend. Und obwohl die Hintergründe von zwei der Protagonisten originell sind, bleiben die Charaktere erstaunlich flach. Doch gerade das war immer die Stärke von Huston.

In seiner Reise in aktuelle Geheimdienstverschwörungen und globale Verflechtungen von Cyberterroristen begegnet Skinner der "Roboterlady" Jae. Zusammen müssen sie auf der ganzen Welt Angreifern entkommen oder Räder in Bewegung setzen. Dabei werden sie natürlich verfolgt, haben Sex, werden verletzt und töten ihre Verfolger. Das erinnert in vielerlei Hinsicht an Dan Browns "Inferno: (Robert Langdon Book 4)". Dazu passt auch, dass das Thema des Buchs um das gleiche Motiv kreist: Überbevölkerung. Wie werden westliche Gesellschaften in Zukunft damit umgehen und welche "Lösungsvorschläge" kursieren in mysteriösen Zirkeln wie zum Beispiel bei der Bilderberg-Konferenz?



Leider ist die Geschichte vorhersehbar. Leider sind schrecklich viele Rechtschreibfehler (Jae wird mehrmals zu Joe) und Rechercheschwächen (der Imbissverkäufer in Köln fragt allen Ernstes: "Sie okay, fräulein?") zu finden. Was als aussichtsreiche Abrechnung mit der Ignoranz des Westens beginnt und die neuesten technischen Entwicklungen abzubilden scheint, endet als lauwarmer Aufguss von Klischees und einem überhaupt nicht überzeugenden Szenario in den Slums des Subkontinents.

Alles in allem scheint Huston hier wenig Zeit gehabt zu haben. Hoffentlich findet er in seinem nächsten Roman zurück zu seinen klasse Dialogen den vielen facettenreichen Charakteren und zu einer Handlung, die zumindest ein paar Wendungen hat. Skinner ist für mich leider eine Enttäuschung.

  • Plot: Wusste ich vorher. (2/5)
  • Action: Kenn ich schon. (3/5)
  • Spannung: Fand ich nicht. (2/5)
  • Charaktere: Nur der Hintergrund zweier Figuren ist spannend. (3/5)
  • Humor: Nicht lustig. (1/5)
  • PASCH: Sonst hohes Niveau, hier Griff ins Klo. (2/5)

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Charlie Huston, Skinner
Taschenbuch: 416 Seiten 
Verlag: Orion (August 2013) 
ISBN-10: 1409124371

Brown, Inferno (3/5)

Du hast die Pest!

Robert Langdon trifft Dante Alighieri. Im vierten Abenteuer des schwimmsportverliebten Kunsthistorikers aus Harvard geht es um Dante, Florenz, Venedig, die Pest, die Hölle und Überbevölkerung. Das Ziel der „bildungsbürgerlichen Sehnsucht“ (Die Zeit, Nr. 22, 23.05.2013) ist dieses Mal die Renaissance. Wenn sogar Denis Scheck lobende Worte für Brown findet, muss an Langdons Reise in die Symbolwelt des Poeten aus Florenz ja wirklich was dran sein, oder?

PLOT: „Inferno“ unterscheidet sich von seinem Vorgänger „The Lost Symbol“. Es geht nicht mehr so gedrängt um versteckte Botschaften und Symbole. Im Mittelpunkt steht ein terroristischer Anschlag, der in einer Schnitzeljagd auf Speed verhindert werden muss. In Italien und später in einem anderen Land (muss ja nicht alles verraten werden) geht es munter hin und her und hoch und runter. Es gibt ein paar Wendungen im Geschehen und Brown führt einen das ein oder andere Mal auf eine falsche Fährte. (4/5)

ACTION: Wem die Action aus den vorherigen Teilen gefallen hat, bekommt hier eine gleichbleibende Fortsetzung ohne Steigerung. Es sieht aus, als wäre die Plateauphase in dieser Hinsicht erreicht: Die Verfolgungsjagden waren definitiv schon dramatischer. Handwerklich ist wie gewohnt alles gut durchgestaltet. Großes Kopfschütteln bleibt aus. (4/5)

SPANNUNG: „Inferno“ liest sich schnell weg. Wenn Denis Scheck sogar die Spannung lobt: Wie sollte man da widersprechen? Ganz einfach. Indem man nur zwei von fünf möglichen Spannungspunkten auf der PASCH-Skala vergibt. Zwar wollte ich immer weiterlesen, Angst, dass gleich etwas Unvorhergesehenes geschieht, hatte ich aber nicht. Nach den Spannungsbögen muss genauso gesucht werden wie nach den versteckten Hinweisen in der Toskana. Das spannendste an dem Roman ist die Frage, wie schlecht die Fortsetzung konstruiert werden muss, um die Folgen des „Infernos“ einzubauen. Aber auch da wird Brown bestimmt was einfallen. (2/5)

CHARAKTERE: Bertrand Zobrist. 1 Punkt dafür. Aber gute Schurken sind trotzdem Mangelware. Zumal der eine sich als tot und die anderen als gut herausstellen. Mit Langdon kann man sich trotzdem gut identifizieren. Er ist schlau, sportlich, smart und das erste Mal in seinem Leben auch gut angezogen. (3/5)

HUMOR: Die große Schwachstelle bei Brown. Zwar gibt Langdon den ein oder anderen zynischen Kommentar ab. Trotzdem muss sich niemand ein Kissen auf den Schoß legen, um seine Schenkel vor den eigenen Schlägen zu schützen. Es ist natürlich auch kein lustiges Thema, so eine Seuche. (1/5)

FAZIT: Mit 14 von 25 möglichen Punkten landet „Inferno“ leider nur im guten Mittelfeld der PASCH-Skala. Auf den ersten Blick ist das verwunderlich. Die fast fünfhundert Seiten sind schnell gelesen. Die Geschichte mit den Transhumanisten ist interessant. Über Dante, Dogen und Kirchen lässt sich einiges lernen. Was haben wir hier? Einen handwerklich gut gemachten Thriller, der wieder nicht halten konnte was „The Da Vinci Code“ der Welt für seine Nachfolger versprochen hat. Dan Simmons kann etwas, was sein Namensvetter nicht kann. Er kann hochkomplizierte Literatur mit spannenden Thrillern verbinden. Dan Brown bleibt am Ende auf halber Strecke stehen. Er schreckt davor zurück, über Wikipedia-Informationen hinauszugehen und seine Leser wirklich in den Bann eines großartigen Literaten zu ziehen. 3 von 5 Punkten.

  • Plot: (4/5)
  • Action: (4/5)
  • Spannung: (2/5)
  • Charaktere: (3/5)
  • Humor: (1/5)
  • PASCH: (3/5)

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Dan Brown, Inferno.
480 Seiten
ISBN: 0385537859
Verlag: Doubleday; Auflage: 1. Auflage, US (14. Mai 2013
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Muskulöse Memoiren

Schwarzenegger, Total Recall (2012)

Ein Mann kauft sich eine Boeing 747. Allein daraus könnte man ein Buch machen. In der Autobiographie Arnold Schwarzeneggers ist dies kaum mehr als eine Randnotiz.

Ja, Arnold hat ein Buch geschrieben. Es ist übrigens sein sechstes. In seiner totalen Erinnerung (Total Recall) berichtet der steirische Stier von seiner atemberaubenden Erfolgsstory. Seine Erzählung folgt der Logik des Bodybuilders. Jedes Kapitel eine neue Pose. Jede Pose ist perfekt einstudiert. Immer höher klettert der Junge aus den Bergen. Immer neue Ziele, immer neue Erfolge. Jede Sprosse hätte doch die letzte sein sollen, denkt man beim Lesen. Das muss es doch jetzt gewesen sein. Du hast es nach München geschafft, jetzt nach Amerika! Du bist Filmstar, Millionär und Mr. Universum, hast einen Sport neu definiert, handelst mit Immobilien, heiratest eine Kennedy, hast eine Restaurantkette, wirst Gouverneur von Kalifornien und kaufst dir einen Jumbo-Jet.

Was Arnold anpackt, gelingt ihm. Nach der Hälfte des mehr als 600 Seiten starken Wälzers ist das Muster deutlich erkennbar. Schwarzenegger setzt sich ein völlig übertriebenes Ziel, wird nicht ernst genommen und erreicht am Ende alles, was er sich vornahm. Freunde und Feinde macht er sich dabei. Wichtig erscheint ihm das zunächst nicht. Die Beerdigung des Bruders verpasst er und die des Vaters. Erst mit den Kindern hält etwas wie Familiensinn Einzug in die Programmierung des Terminators. Auch zu seinem außerehelichen Sohn, den er gemeinsam mit einer Angestellten vor 14 Jahren bekam, steht er. Anabolika verschweigt er nicht und auch seine vielen Tricks und Kniffe, mit denen er teils hinterhältig seine Gegner im Bodybuilding und im Film besiegte, beschreibt er.

Ach, Arnie...

Was für ein Bild bleibt nach der Lektüre von Schwarzenegger? Viel Neues decken die Memoiren nicht auf. Sie versammeln und ordnen die Infos über den Terminator. Keine neuen Gerüchte finden sich und keine schmutzige Wäsche gewaschen. Schwarzeneggers Co-Autor Peter Petre ist kein Ungeübter. Er stand schon Alan Greenspan zur Seite, als der seine Autobiographie verfasste. General Schwarzkopf vertraute ihm ebenso wie IBM-Chef Watson und Ex-Verteidigungsminister McNamara ([...]) Das zeigt, wie die Autobiographie einzuordnen ist. Denn eine klassische Promi-Biographie ist das nicht und auch kein Selbsthilfeleitfaden. Schwarzeneggers Buch ist eine politische Biographie. Hier schreibt jemand, der noch immer Ziele hat. Dutzende Male beschreibt Schwarzenegger, wie sehr ihn unerreichbare Ziele reizen und wie gerne er etwas zum ersten Mal macht. Doch welches politische Ziel kann jemand haben, der schon Gouverneur war und nicht Senator werden möchte? Schwarzenegger im Weißen Haus? Unmöglich! Laut Verfassung können nur Amerikaner Präsident werden, die in den USA geworden wurden. Da hilft kein Trick und kein Kniff.

Arnold Schwarzenegger wurde übrigens am 30. Juli 1947 in einem Teil Österreichs geboren, der zu diesem Zeitpunkt von den USA besetzt war... 
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Arnold Schwarzenegger (with Peter Petre), Total Recall. My Unbelievably True Life Story.
Taschenbuch: 646 Seiten 
Verlag: Simon and Schuster (2012) 
ISBN-10:978-1-4516-9705-6

Stolz und Vorurteil in Alabama

Wer Sklaverei, Ku-Klux-Klan, Waffennarren und Rednecks unterstützt oder hervorbringt, dem sollte man sich mit Vorsicht nähern. Aber ich wollte es so: Wohlfahrtsstaat und Mittelklasse in den USA 1944 bis 1972 ist das Thema meiner sozialhistorischen Dissertation. Weil die einzelnen Bundesstaaten bei wissenschaftlichen Betrachtungen bislang stets zu kurz kamen, wählte ich als Studienobjekt Alabama. Es stellt sich heraus, dass das eine gute Wahl war.

Warum ausgerechnet Alabama? Die Frage fällt immer wieder, wenn ich von meiner Zeit dort erzähle. Vor allem ist Alabama ein armer Staat. Sein Spitzname, "The Heart of Dixie", erinnert auch heute noch daran, dass Alabama Kern des Alten Südens ist. Die meisten Stereotype sind wenig schmeichelhaft. Zu Recht, dachte ich.

Vor und nach den Stunden in eiskalten Archiven wollte ich erfahren, was gemeint ist, wenn von Gegensätzen zwischen Arm und Reich die Rede ist, von Mega-Kirchen und vom Sterben der Innenstädte. Was ich am Ende erfuhr, war, was Vorurteile wert sind. 

Erste Station war Birmingham. Das Pärchen, das mich bei sich aufnahm, steckte in der Krise. Sie war arbeitslos. Er war nur in einem kurzen Zeitarbeitsverhältnis. Nie beklagten sie sich. Ich wunderte mich, bis mir klar wurde, dass sie Libertäre waren: Sie erwarteten keine Hilfe vom Staat und glaubten fest an die Selbstheilungskräfte eines freien Marktes. Wie mich das aufregte!

Als wir nach einigen Abendessen vertrauter waren, versuchte ich, mit ihnen zu diskutieren. Meine sozialdemokratische Überlegenheit zerschellte an ihren ruhig vorgetragenen Gegenargumenten. Sie glaubten, dass Menschen sich gegenseitig helfen sollten, weil sie das eben besser könnten als der Staat. Wie sollte ich sie als fürstlich umsorgter Gast vom Gegenteil überzeugen? Hätte ich daheim einen Fremden einfach so aufgenommen?
In Montgomery wohnte ich bei einer jungen Familie nahe der Militärbasis. Als Pilot fliegt der Vater regelmäßig nach Afghanistan. Sonntags besuchte die Familie die megachurch. Religiöse Fanatiker alle miteinander, kochte es in mir. Doch später sah ich, wozu sie ihre Kirchengemeinde nutzten.

Gemeinsam mit Gleichgesinnten waren sie dabei, ein altes Viertel der fast verwaisten Innenstadt zurückzuerobern. Sie organisierten einen öffentlichen Gemüsegarten, in dem sie gemeinsam mit Obdachlosen arbeiteten. Mit ihrer zweijährigen Tochter waren sie in dieses verrufene Viertel gezogen. Stück für Stück wollen sie so die Stadt zurückerobern. Sie hoffen fest darauf, dass andere Familien ihrem Beispiel folgen. Ihr Gottvertrauen und ihr Engagement haben mich, den atheistischen Berliner Sozialdemokraten, doch sehr ins Grübeln gebracht. Mit Vorurteilen will ich jetzt vorsichtiger sein.

Erschienen auf Zeit Online: http://www.zeit.de/gesellschaft/2013-01/leserartikel-usa-sozialstaat
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Johann, Stolz und Vorturteil in Alabama
ZEIT ONLINE (http://www.zeit.de/gesellschaft/2013-01/leserartikel-usa-sozialstaat)
19.01.2013