Thrillerkolumne

Thriller ohne Leserstrahlen ist wie Spenser ohne Boston, Behr ohne Indianapolis, Reacher ohne Army, Rain ohne Judo, Parker ohne Plan, Bolitar ohne Win, Forsythe ohne Whisky, McGee ohne Florida, Hank ohne Baseball, Duffy ohne Beemer...

Stephenson, Cryptonomicon (5/5)

Schlüsselroman

Neil Stephensons "Cryptonomicon" geht mit fast zwölhundert Seiten an die Grenzen der Fassbarkeit. Einmal, weil das Buch tatsächlich schwer zu halten ist. Andererseits, weil die geschilderten Szenen und Verstrickungen aus dem Zweiten Weltkrieg Abenteuer pur sind und Einblick in eine Welt gewähren, die sonst verborgen bleibt: die Welt der Ver- und vor allem der Entschlüsselung.
In zwei parallel zueinander erzählten Geschichten berichtet Stephenson von mehreren Kriegen, die Teile des Zweiten Weltkriegs waren. Der Krieg im Pazifik, der mit dem Angriff auf Pearl Harbor begann und dem Abwurf der Atombomben auf Japan endete, wird speziell mit Blick auf die Philippinen erzählt. Japaner gegen Amerikaner. Japaner gegen Zivilbevölkerung. Alle gegen die Grausamkeit des Dschungels. Der Krieg der U-Bootfahrer wird erzählt genauso wie der Krieg des Generals Douglas MacArthur. Am wichtigsten aber ist die Geschichte, die dem Roman das Gerüst bietet: Der Krieg der Verschlüsselungsexperten.

Die Geheimdienstleute der Alliierten rund um den, offensichtlich unter dem Asperger-Syndrom leidenden, Waterhouse konstruieren während ihres Krieges gegen die Achsenmächte die ersten Computer. Diese dienen keinem anderen Ziel als die Funksprüche der Feinde zu entschlüsseln. Erst sehr viel später gründen und verkaufen die Nachfahren von Waterhouse im Silicon Valley Soft- und Hardware Firmen wie andere Leute gebrauchte Kinderklamotten.
 
Die Verbindung zwischen den beiden Geschichten in den vierziger und neunziger Jahren ist das Gold, das die Japaner im Pazifik versteckten, bevor ihr Reich und ihre Herrschaftsansprüche atomisiert wurden.
 
Die mit Abstand besten Momente des Romans sind die Schilderungen der Erlebnisse des Soldaten Shaftoe. Er ist das Paradebeispiel des amerikanischen Marines. Wie in der Hymne der Marines war er von Guadalcanal bis Afrika und den weiteren Schlachten im Pazifik und der Nordsee an allem beteiligt, was ein Soldat nur sehen konnte. Besonders ein traumatisches Erlebnis vor einer Höhle auf Guadalcanal lässt Shaftoe, der ansonsten jedoch unendlich stoisch und leidensfähig ist, nie wieder los. Mit ihm zeichnnet Stephenson den Prototyp des Marine-Helden ohne dabei die Grenzen zu blindem Pathos und Lobhudelei auch nur zu streifen. Das glückt ihm, weil die lustigsten Episoden des Buches allesamt Shaftoe und dessen trockenem Heldentum zuzuschreiben sind. Ihm ähneln höchstens die Passagen zu Goto Dengo, einer Art japanischem Pendant zu ihm.

In vielen Verstrickungen und mit einem gerade noch so erträglichem Maß an Mathematik und Verschlüsselungstechnik erstehen die Probleme der Kryptographen hier wieder auf. Im Zusammenhang mit den aktuellen Enthüllungen zu den Spionageprogrammen der USA liest sich das Buch wie eine Einleitung. Natürlich will die NSA alles lesen können. Selbstverständlich stellt jedo Form der Codierung, die neu ist, eine Herausforderung dar: einerseits für Theoretiker und Entschlüsseler und andererseits für besorgte Politiker und Militärs.

Wenn an diesem kurzweiligen Roman irgendetwas abfällt, dann die Geschichte, die in den neunuziger Jahren spielt. Vielleicht hätte der Schinken so 400 Seiten schmaler werden können. Trotzdem, "Cryptonomicon" ist ein wunderbarer Roman für alle, die sich für eine neue Sicht auf den Zweiten Weltkrieg, die Frühgeschichte der Computer, die Philippinen und die Start-ups im Silicon Valley interessiert. Mit dem Protagonisten Waterhouse scheint Stephenson außerdem eine Vorlage für Sheldon Cooper aus der Fernsehserie Big Bang Theory geliefert zu haben.

  • Plot: Vieles im Verborgenen (5/5)
  • Action: Shaftoe zieht's durch (4/5)
  • Spannung: Mehr als eintausend Seiten mit "Wie geht's weiter?" (4/5)
  • Charaktere: Shaftoe, Waterhouse, Goto Dengo, America, der Dentist (5/5)
  • Humor: Trocken - sogar im tiefsten Dschungel (5/5)
  • PASCH: Kategorie Lieblingsbuch (5/5)

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Neal Stephenson, Cryptonnomicon
Verlag: Manhattan (1999) 
ISBN-10: 3442545293

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