Thrillerkolumne

Thriller ohne Leserstrahlen ist wie Spenser ohne Boston, Behr ohne Indianapolis, Reacher ohne Army, Rain ohne Judo, Parker ohne Plan, Bolitar ohne Win, Forsythe ohne Whisky, McGee ohne Florida, Hank ohne Baseball, Duffy ohne Beemer...

Hol' schon mal den Wagen, Harry! (2/5)

Michael Connelly, Nine Dragons (2009)

Michael Connellys Romanfigur Hieronymus "Harry" Bosch zieht es diesmal nach Hong Kong. Allerdings nur für 39 Stunden. Länger braucht das Mannsbild aus L.A. nicht, um seinen Auftrag dort zu erledigen. Dass dabei wieder zahlreiche Schurken auf der Strecke bleiben, steht außer Frage.

Moment! Hong Kong? War da nicht was? Richtig: Triaden und so. Mitten in die Welt der chinesischen Version der Mafia wird Bosch dabei schon in Kalifornien gezogen. Dank der globalisierten Verbrecherbande aus Fernost entwickelt sich ein zunächst banal erscheinender Fall zum transpazifischen Räuber-und-Gendarm-Spiel für Bosch und seine Kollegen. Connellys Charaktere bleiben den altbekannten Holzschnittmustern durchweg treu. Außergewöhnlich für Boschs Abenteuer ist allein das Ausmaß an Action und Verfolgungsjagden. Noch ungefähr zwei Bücher trennen Connelly von der Chance, sich als Schreiber der Fortsetzung von "Derrick" zu bemühen. Aber halt: Derrick war wenigstens manchmal spannend. Aber auch bei Stefan und Harry wusste man immer schon von Anfang an, wer der Mörder ist.

Ansonsten ist alles an diesem Fall vorhersehbar. Die vierhundertachtzig Seiten warten nur mit einer einzigen Überraschung auf. Genau hier hätte es auch die Chance gegeben, der Geschichte wenigstens einmal die versprochene "persönliche" Note zu geben. Aber? Fehlanzeige. Um die Überraschung nicht zu vermiesen, kann ich hier leider nicht weiter darauf eingehen. Jeder "Nine Dragons"-Leserin sei aber versprochen, dass auch die besagte Situation "Hibernator Hieronymus" zu keiner Gefühlsregung verleiten wird.


Was bleibt, ist ein gutes Mittel, um kurze Busfahrten lang erscheinen zu lassen. Wer mal wieder die Nachttischlampe rechtzeitig ausschalten möchte, muss hier zugreifen.


  • Plot: (2/5)
  • Action: (3/5)
  • Spannung: (1/5)
  • Charaktere: (2/5)
  • Humor: (2/5)
  • PASCH: (2/5)
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Michael Connelly, Nine Dragons
Taschenbuch: 480 Seiten
Verlag: Vision; Auflage: Reprint (1. August 2010)
ISBN-10: 0446561959


Meilenstein (5/5)

John L. Parker, Jr., Once a Runner (1978)

Quenton Cassidy ist Läufer. Als sogenannter Miler ist die englische Meile seine Wettkampfdistanz. Zu Beginn des Romans "Once a Runner" ist er im wahrsten Sinne des Wortes auf dem besten Weg, die vier Minuten, eine magische Grenze für alle Miler, zu unterbieten. Immer mehr ordnet Cassidy alles andere in seinem Leben dem Laufen unter. Als Bruce Denton, Goldmedaillengewinner und Cassidys Kommilitone, beginnt, ihm unter die immer dünner werdenenden Arme zu greifen, wird das Trainingspensum des talentierten Milers immer abstruser.

Moment! Steht da im Header nicht "Thriller | Science-Fiction | Historischer Roman"? Was soll denn bitte die Besprechung eines Sportbuches hier? Nun. Kaum ein Thriller birgt derart fesselnde Einsichten in menschliches Leid, wie Parkers Beschreibungen der dritten Runde auf der Tartanbahn. Kein Alien und kein Roboter kann sich selbst so quälen wie Quenton. Darüber hinaus sind seine Leistungen wohl nur als historisch zu beschreiben. Außerdem spielt der Roman in den 1970er Jahren und lässt sich so wahrscheinlich wirklich am besten in der Sparte der historischen Romane verorten.

Zurück zum Thema. "Once a Runner" bietet Einblick in die Psyche des Läufers. Darüber hinaus ist Cassidys Geschichte die eines Menschen, der dem einen Ziel alles unterordnet und der nur antworten kann, dass es keins gibt, wenn ihn jemand nach dem Geheimnis seines Erfolgs fragt. 

3:43,13 Minuten: Das ist die schnellste Zeit, die je ein Mensch über die längste Mittelstreckendistanz, die Meile, gelaufen ist. Eine Meile ist 1609,344 Meter lang. Wer den Selbstversuch wagt, vier Runden im Stadion so schnell wie möglich rennt, seine Zeit stoppt und danach "Once a Runner" liest, wird die Seiten dieses Buches nur noch mit einem umblättern: mit Ehrfurcht.

  • Plot: Wie wird man Miler? (4/5)
  • Action: Ab geht die Post (5/5)
  • Spannung: Vier Runden Himmel und Hölle (3/5)
  • Charaktere: Quenton Cassidy (5/5)
  • Humor: Bleibt nicht auf der Strecke (4/5)
  • PASCH: (5/5)
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John L. Parker, Jr., Once a Runner
Gebundene Ausgabe: 416 Seiten 
Verlag: Delacorte Press (27. September 2011) 
ISBN-10: 0385344325


Strange und Quinn (5/5)

George Pelecanos, Right as Rain (2002)

Vor langer Zeit war Derek Strange Polizist. In seiner Heimatstadt, Washington, DC, arbeitet er nun als Privatdetektiv. "Right as Rain" führt Strange und Terry Quinn zusammen. Quinn ist ebenfalls ein Washingtoner Urgestein; wenngleich ein jüngeres. Auch er ist ehemaliger Polizist. Quinn hing seine Uniform jedoch an den Nagel, nachdem er einen Mann erschossen hatte, der sich ihm gegenüber nicht als Polizist zu erkennen gegeben hatte. Strange ermittelt im Auftrag der Mutter des Erschossenen, die verzweifelt nach Gerechtigkeit sucht. Die Geschichte spielt im Washington der Neunzigerjahre, das mehr Moloch als Machtzentrale ist. So weit, so klar.

Hier die zusätzlichen Informationen: Strange ist schwarz, Quinn weiß. Der Mann, den Quinn erschoss, war schwarz und beugte sich mit einer Waffe über einen Weißen.

Als Strange und Quinn sich besser kennenlernen, gewinnen sie so viel Vertrauen zueinander, dass Quinn schließlich bei den Ermittlungen Stranges mithilft. Ziel ist es nun, die Ungereimtheiten aufzuklären, die sich immer noch um besagte Todesnacht drehen. Zwar war Quinn von jeglichen Vorwürfen befreit worden (alles sei 'right as rain' gelaufen). Dennoch nagt die Nacht noch immer am Westernfan Quinn. Sein Gewissen scheint nicht rain... äh... rein zu sein.

Nebenbei werden Strange und Quinn immer weiter in die Tiefen der Welt der Drogenabhängigen und Drogendealer gezogen. Quinn und Strange kämpfen beide mit ihren jeweiligen rassistischen Vorurteilen. Sie leugnen sie, fallen ihnen zum Opfer und suchen einen Weg, damit umzugehen. Jede Seite dieses Buches nimmt ein Klischee auf, hält es dem Leser vor Augen und fordert ihn auf Stellung dazu zu beziehen.

Eingebettet sind all die Themen, die Rassismus, Drogen und Gesellschaft streifen, in einen von George Pelecanos wunderbar solide gestalteten Krimi-Plot. Neben interessanten und tiefgründigen Charakteren hält die Geschichte auch glaubwürdige Schurken, hervorragende Schilderungen von Washingtons Problemvierteln und hintergründigen Humor für ihre Leser bereit. Schmankerl sind die Verweise auf Westernklassiker, sei es als Buch, Film oder Filmmusik. Am Ende ist auch dies wieder eine Variation des Westernthemas komplett mit erfahrenem Gunslinger, heißblütigem Cowboy und finaler Schießerei. 
  • Plot: (5/5)
  • Action: (5/5)
  • Spannung: (3/5)
  • Charaktere: (5/5)
  • Humor: (4/5)
  • PASCH: (5/5)
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George Pelecanos, Right as Rain
Taschenbuch: 384 Seiten
Verlag: Grand Central Publishing (1. Februar 2002)
ISBN-10: 0446610798

Grenzwertig gut (4/5)

Sebastian Rotella, Triple Crossing (2011)

Sebastian Rotella hat mit "Triple Crossing" einen Thriller geschrieben, der im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko seinen Ausgang hat. Im Gefolge von Valentine Pescatore zeichnet der Roman ein Bild der Situation in Mexiko, die gezeichnet ist von Drogenhandel, Bestechung und Gewalt.

Valentine Pescatore, seines Zeichens Polizist bei der Grenzpatrouille auf Seiten der USA, gerät im Verlauf der Geschichte immer tiefer in den Sumpf zwischen Mexico City und Washington DC. Immer wieder blitzen Rotellas umfassende Kenntnisse des Drogenhandels in Nord-, Mittel- und Südamerika auf. Verpackt wird diese eigentlich schulbuchmäßige Einführung in den traurigen Alltag lateinamerikanischer Emigranten in einen stellenweise mitreißenden Thriller. Pescatore wandelt zwischen den Welten, wird Undercover-Agent und muss sich in einer Bande mexikanischer Gangster beweisen.

Messen muss sich "Triple Crossing" allerdings mit "The Power of the Dog" von Don Winslow (The Power of the Dog. (Arrow)). In diesem Vergleich zieht Rotellas Roman den Kürzeren. Die Charaktere können mit denen in Winslow Epos nicht mithalten. Die Story ist berechenbarer und der Handlungsfluss stockt an einigen Stellen deutlich.

Pescatore ist in einem Moment eiskalt und im nächsten bemitleidenswert. Isabel Puente ist zu perfekt, zu hübsch, zu sexy. Die wirklichen Highlights sind die zwei Bodyguards des mexikanischen "Elliot Ness" Mendez. Arthos und Porthos sind die beiden grummeligen no-nonsense Caballeros, die alles dafür tun, dass ihr Boss am Leben bleibt.

Wer sich für Drogenhandel, Schmuggler und die dunkle Seite des Alltags in Mexiko und Südamerika (besonders Paraguay) interessiert und von Don Winslow schon alles ausgelesen hat, sollte zu diesem Thriller greifen. Alle anderen fangen besser bei "The Power of the Dog" an, gehen dann über zu "Savages" (der jetzt auch im Kino läuft - unbedingt gucken) und schauen, ob sie der Sache gewachsen sind.
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    Sebastian Rotella, Triple Crossing.
    Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
    Verlag: Mulholland Books; Auflage: 1 (10. August 2011)
    ISBN-10: 0316105309

    Reacher to go (5/5)

    Lee Child, Deep Down (2012)

    Mit einer Kurzgeschichte verkürzt uns Lee Child die Wartezeit auf das nächste große Abenteuer mit Jack Reacher. Wie bereits in The Affair spielt die Geschichte in der Vergangenheit von Reacher. Zwischen seinen Stationierungen in Frankfurt und Korea beordert ihn die Army 1986 nach Washington. Hier soll der smarte Haudrauf einen Verräter enttarnen; oder besser gesagt eine Verräterin. Denn der Kreis der Verdächtigen ist ein rein weiblicher.

    In DC angekommen wird Reacher selbstverständlich gebrieft. Dabei erinnert die Unterhaltung mit seinem Auftraggeber, Colonel Cornelius Christopher, stark an die wunderbaren Dialoge mit Reachers Mentor Garber. Dass später an Action nicht gespart wird, dass die ein oder andere Nase dem Ellenbogen des heimatlosen Hünen zerschellt, dass Reacher alles durchschaut, blitzschnell rechnet, seine innere Uhr am Start hat und handelt bevor es andere tun, ist nicht zu viel verraten.

    Diese Reacher-Story ist ein großer Genuss für zwischendurch, ein Muss für jede Reacher creature und ein leichter Einstieg für all die armen Leute, die Reacher noch nicht kennen. Nach drei Vierteln des Kindle-Dokuments ist der Spaß leider schon wieder vorbei. Dafür gibt es einen Teaser zum kommenden Abenteuer mit Reacher (A Wanted Man (Jack Reacher)), das ihn nach zwei Jahren endlich nach Virginia führt, wo schlimme Schurken Menschen um Ecken bringen, um die zufällig Reacher kurvt und wo bereits eine attraktive Frau darauf wartet, dem Charme des Ex-MPs zu erliegen.
    • Plot: Knackig (4/5)
    • Action: Knackend (5/5)
    • Spannung: Knifflig (4/5)
    • Charaktere: Colonel Cornelius Christopher (4/5)
    • Humor: Knochentrocken (5/5)
    • PASCH: (5/5)

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    Lee Child, Deep Down
    Format: Kindle Edition
    Dateigröße: 306 KB
    Seitenzahl der Print-Ausgabe: 52 Seiten
    Verlag: Transworld Digital (16. Juli 2012)
    ASIN: B008DVVLYW

    Das Schnarchen des Kaisers (2/5)

    Gisbert Haefs, Die Rache des Kaisers (2009)


    Die Rache des Kaisers ist der zwölfte historische Roman von Gisbert Haefs. Dessen Werk füllt mittlerweile etliche Regalmeter und reicht von Science-Fiction über Krimis bis eben zu jenen historischen Romanen, mit denen er seit Jahren die Strandtaschen zahlloser Touristen füllt. Troja, Hannibal und Alexander setzten Maßstäbe im Genre und haben den ein oder anderen erst zum Leser historischer Wälzer bekehrt. Aber heißt das, dass Haefs sich selbst nicht mehr an diese Maßstäbe halten muss? Es scheint so. Denn die Geschichte um Jakob Spengler ist ein lieb- und lebloser historischer Roman.

    Spenglers Odyssee durch das Europa des frühen 16. Jahrhunderts beginnt damit, dass seine Familie und sein Dorf abgeschlachtet werden. Er beobachtet das Gemetzel, prägt sich die Gesichter der Mörder ein, wird von einem Araber adoptiert, lernt kämpfen und die Welt kennen, wird reich, wird arm, ist bei einigen der wichtigsten historischen Ereignisse seiner Zeit dabei, findet alle Mörder, verliert ein paar Freunde und Frauen, findet aber neue, rächt sich an allen und ist am Ende fein raus. Wie's halt so läuft. Schema F lässt grüßen.

    Statt wie gewohnt mit Hintergründen und seiner eigenen Logik (in seinem Roman Troja waren es z.B. die wirtschaftlichen Gründe, die zum Krieg führten und nicht die schöne Helena) zu glänzen, greift Haefs hier nur an der Oberfläche die großen Tendenzen der Zeit auf. Die Verteidigung Wiens gegen die Türken, die Bauernkriege, Martin Luthers Wirken und das der Fugger und Welser sind die Eckpunkte der "Handlung". Als Spengler kurz vor Schluss noch einmal eben nach Amerika fährt, dort schnell einen der Gejagten richtet und samt Eingeborenen wieder nach Europa kommt, wird es einem eigentlich schon zu viel. Obwohl einige Kampfszenen gut gelungen sind, mangelt es doch an so wichtigen Aspekten wie Glaubwürdigkeit, Spannung, Wendungen, Perspektivwechseln. Die Rache des Kaisers ist ein historischer Roman. Aber kein guter. Haefs hat Eisenbahnschienen ausgelegt, den Zug "Jakob Spengler" draufgesetzt, den Autopiloten programmiert und per Knopfdruck den Zug abfahren lassen. In zehn Jahren wird es eine Software geben, die bessere Bücher schreibt.

    • Plot: Autopilot (2/5)
    • Action: Autsch (3/5)
    • Spannung: Augenwischerei (1/5)
    • Charaktere: Autisten (2/5)
    • Humor: Ausgenommen (0/5)
    • PASCH: (2/5)

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    Gisbert Haefs, Die Rache des Kaisers (2009)
    Taschenbuch: 416 Seiten
    Verlag: Goldmann Verlag (16. Mai 2011)
    ISBN-10: 3442475430