In Folge 16 der Reacher-Reihe erfahren wir, warum Jack Reacher die Army
verließ und sein Leben als, seien wir ehrlich, Landstreicher begann. Wir
befinden uns im Jahr 1997 und der smarte Totschläger mit der Lizenz zum
Kopfnussverteilen ist noch immer als Militärpolizist bei Onkel Sam
angestellt.
Wer andere Teile der Serie gelesen hat, kennt
Reachers merkwürdige Eigenarten. Einige davon entwickelt er in diesem
Prequel. Er entdeckt, wie es ist, mit dem Bus durchs Land zu fahren. Er
will uns glauben machen, dass man keine Zahnpasta braucht oder ein
zweites Paar Socken oder anderen Besitz, weil das alles am Ende nur dazu
führt, dass man einen Koffer kauft, einen Schrank, ein Haus und einen
Garten. Und dann bist du tot. Ums Sterben geht's natürlich auch in dem
Auftrag, den Reacher von seinem Vorgesetzten (alter Bekannter: Garber)
erhält. Die Mission führt Reacher als eine Art verdeckter Ermittler nach
Mississippi.
Im ärmsten aller Südstaaten angekommen, entwickelt
sich eine klassische Reacher-Story. Lee Child hat uns die letzten 15
Jahre gekonnt an seinen Schreibstil herangeführt und oft bewiesen, dass
er der Meister der lakonischen Dialoge und ausgetüftelten Plots ist. Im
ersten Drittel des Buches (nachmittags) hätte ich mich am liebsten
genauso weit weggeschmissen wie Reacher es mit seinen Feinden zu tun
pflegt. Die Gespräche mit Garber sind Gold wert.
Die Erwartung an
die neue Episode hat bestimmt mit dazu beigetragen, dass ich zunächst
einige Schwächen ignoriert habe. Keine Frage: Hier haben wir es mit
einem klassischen Reacher zu tun. Es ist genauso, wie man es sich
wünscht. Aber so ist es auch, wenn man seinen Lieblingskuchen nur einmal
im Jahr essen darf. Man freut sich und genießt es. Es ist auch nicht
schlimm, dass es immer das gleiche Rezept ist, nach dem der Kuchen
gebacken wird. Doch mittlerweile muss sich jeder neue Reacher-Roman mit
seinen Vorgängern messen lassen, von denen es zwangsläufig immer mehr
gibt. Und da liegt das Problem.
Die Ermittlungen kommen am Anfang
nur schleppend voran (abends). Der Kreis der Verdächtigen ist für
meinen Geschmack zu klein. Es fehlt, mal wieder, ein richtiger Gegner.
Weit und breit ist niemand zu finden, der Reacher vor wirkliche Probleme
stellen könnte. Die Morde sind nicht besonders rätselhaft und wirkliche
Wendungen sucht man auch vergebens. Noch heute erinnere ich mich an die
vertrackten Plots aus "One Shot" (
One Shot. (Bantam Press Jack Reacher Novel)) oder die überraschende Wendung in "Gone Tomorrow" (
Gone Tomorrow: A Reacher Novel (Jack Reacher Novels)). Es fehlt die große Verschwörung wie in "Nothing to Lose" (
Nothing To Lose (Jack Reacher)) und die dramatische Todesart wie in "Running Blind" (
Running Blind: A Jack Reacher novel).
Deshalb darf es auch diesmal keinen fünften Stern geben (Das hat
natürlich nichts mit der Entscheidung zu tun, dass Tom Cruise den Jack
Reacher in der Verfilmung spielen wird...).
Im letzten Drittel
des Buches (nachts) steht dann schon früh fest, wer der Mörder ist und
was sein Motiv war. Kurz vor Schluss (früher Morgen) wird dann der wahre
Grund für Reachers Abschied aus der Army offenbart. Als ich "The
Affair" morgens zuklappte, wusste ich mehr von Reacher und war einmal
mehr Zeuge einiger elaborierter Kopfnüsse geworden. Und natürlich war
ich traurig, dass ich jetzt wieder ein Jahr auf den nächsten Teil warten
muss.