Thrillerkolumne

Thriller ohne Leserstrahlen ist wie Spenser ohne Boston, Behr ohne Indianapolis, Reacher ohne Army, Rain ohne Judo, Parker ohne Plan, Bolitar ohne Win, Forsythe ohne Whisky, McGee ohne Florida, Hank ohne Baseball, Duffy ohne Beemer...

Simmons, Ilium (5/5)

Menelaos, Myrmidonen und Moravec Mahnmut

"Ilium" habe ich zufällig entdeckt und es war damals mein erster Roman von Dan Simmons. Mich hat die Idee gereizt, die Ilias mit Science Fiction zu kombinieren, griechische Helden mit Raumfahrt und Androiden mit klassischer Literatur. Das große Aber war für mich von Anfang an, dass bei solchen Geschichten die Idee meist spannender ist als die tatsächliche Umsetzung. Hier aber ist es fast umgekehrt. Drei verschiedene Erzählpfade werden intelligent entwickelt und teilweise miteinander verwoben. Der Aufbau hat mich an die besseren Romane von Michael Crichton (The Lost World, Timeline, ja, wirklich) erinnert, bei denen getrennt voneinander und aus verschiedenen Perspektiven die gleiche Geschichte erzählt wird.

Ich-Erzähler und wahrscheinlich wichtigster Protagonist ist Professor Hockenberry, ein Homer-Forscher aus unserer Zeit. Zugegeben, jetzt wird's ein bisschen wild. Ist aber so: Er berichtet für die Götter live von den Geschehnissen bei der Belagerung des antiken Trojas. Immer tiefer gerät er in die Welt und die Intrigen der Götter, die das Schicksal der Menschen nicht nur beobachten, sondern auch zu einem guten Teil beeinflussen. Wie genau er in seine Situation geraten ist, weiß er über lange Strecken des Romans nicht. Klar scheint aber zu sein, dass er von den Göttern wiederbelebt wurde und dabei sein Gedächtnis zum größten Teil verlor. 

Die zweite Geschichte handelt parallel von einer Gruppe Maschinen und Androiden, die von den Jupitermonden aus aufbrechen, um eine wichtige Mission auf dem Mars auszuführen. Mahnmut, einer der Moravecs (eine Form künstlicher Intelligenz benannt nach dem österreichisch-amerikanischen Theoretiker Hans Moravec: Robot: Evolution from Mere Machine to Transcendent Mind) ist Shakespeare-Liebhaber und offenbart in harmonisch eingebauten Geschichten immer wieder seine grundlegende Kenntnis und seine große Liebe zum Barden. 

Der dritte Handlungspfad spielt auf der postapokalyptischen Erde, wo die Menschen vollkommen unbeschwert aber auch gedankenlos vor sich hinleben. Bis sie eines Tages von einigen Neugierigen und einigen Außenseitern aus ihrer Lethargie gerissen werden.

Das alles ist so unbeschwert und balanciert miteinander kombiniert, dass es mir wirklich Spaß gemacht hat, die Andeutungen und Querverweise zu entdecken, von denen Simmons reichlich Gebrauch macht. Beispiel: Mahnmuts bester Freund, Orphu of Io, ist Proust-Liebhaber. In seinen Gesprächen mit Mahnmut während ihrer gemeinsamen Mission (die wiederum sehr an Frodos und Sams Abenteuer erinnert) lernt man mehr über Prousts Werk und entdeckt immer neue Anspielungen an die großen Autoren, die sich in "Ilium" verstecken und Pate für einige der dort verwendeten Ideen standen.



Was mir an Simmons erstem Teil seines Ilim/Olympos-Zweiteilers merkwürdig aufgestoßen ist

Aus der Perspektive des Ich-Erzählers Hockenberry wird ein Angriff auf Troja an einer Stelle mit den terroristischen Attacken vom 11. September und (noch gravierender) mit der Greul in Auschwitz in eine Reihe gestellt. Das wirkt ebenso befremdlich wie die besondere Rolle, die den Juden in der Geschichte auf der post-apokalyptischen Erde zuteil kommt. In einem Abstecher der Abenteurer nach Jerusalem wird etwas mehr über die Besonderheit der Juden gesprochen, die nicht nur Opfer muslimischen Hasses wurden, sondern auch durch eine (genetische?) Eigenart ein spezielles Schicksal erlitten. Die Stellen sind kurz und nicht so gravierend für das weitere Geschehen, dass es mich vom Weiterlesen abgehalten hat. Sollte sich hinter diesen kuriosen Schilderungen ein verqueres Weltbild des Autors verstecken? Ich habe mich dafür entschieden, mit Simmons in diesen Punkten nicht übereinzustimmen. Genauso wie ich mit H.G. Wells (Er schildert immer wieder das Tabu, schwarze Soldaten einzusetzen, z.B. in: Wenn der Schläfer erwacht: Roman) und Jules Verne (die Schilderung des afroamkerikanischen Dieners Nab, den er als Affen beschreibt: The Mysterious Island (Wordsworth Classics)) teilweise nicht übereinstimme, wenn diese von der Unterlegenheit asiatischer und afrikanischer Menschen sprechen. Auch sie hätten es schon besser wissen können.

In "Ilium" kann man eintauchen und sich verlieren. Die ausgeflippten Ideen des Autors und die wahnwitzigen Kombinationen, über die man immer wieder stolpert, ergeben irgendwann doch einen Sinn. Dieser Roman bietet eine neue Version der Ilias, stellt Zukunftsvisionen und technische Träume dar, hat gruselige und schockierende Momente und macht einfach nur Spaß.

  • Plot: (5/5)
  • Action: (5/5)
  • Spannung: (5/5)
  • Charaktere: (4/5)
  • Humor: (4/5)
  • PASCH: (4/5)
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Dan Simmons, Ilium
Taschenbuch: 642 Seiten
Verlag: Gollancz; New Ed (1. März 2004)
ISBN-10: 0575075600




Heinlein, The Moon Is A Harsh Mistress (4/5)

Es ist angerichtet!

Mit "The Moon Is A Harsh Mistress" schmeißt Küchenchef Robert A. Heinlein alle Revolutionen der jüngeren Menschheitsgeschichte in einen Topf und lässt sie 384 Seiten lang köcheln. Gewürzt wird die Mischung mit Theorien zu interstellarem Handel, künstlicher Intelligenz und völlig ungewohnten Geschlechterrollen. Serviert wird das Gericht dann vom einarmigen, stoischen und libertär angehauchten Oberkellner Manuel.

Die Bewohner des Mondes, die sich selbst Loonies nennen, kämpfen in diesem Science Fiction-Roman um ihre Unabhängigkeit von der Erde. Genauer gesagt möchten sie sich von dem Konglomerat lossagen, das den Handel zwischen Mond und Erde kontrolliert und das die Loonies ausbeutet. Die politische Landschaft der Erde ist mittlerweile völlig verändert. Obwohl Heinlein auf die neue Situation dort nur am Rande eingeht, findet sie sich im Einklang mit anderen seiner Bücher.

Die wohl wertvollste Unterstützung erhalten die Mondbewohner (alles ehemalige Sträflinge oder deren Abkömmlinge) von dem eigentlichen Protagonisten des Romans: dem Computer Mike (a.k.a. Mycroft Holmes, ein augenzwinkernder Verweis auf den genialen Bruder Sherlocks), der erst ein eigenes Bewusstsein erlangte und sich dann mit Manuel anfreundete. Gemeinsam bilden sie einen Teil der Zelle, die schließlich dafür verantwortlich ist, dass die offene Rebellion auf dem Mond ausbricht.

Wie in gelungener Science Fiction üblich zeigt der Roman das Bild einer Gesellschaft, die gerade weit genug von unserer entfernt ist, um noch die Parabel verstehen zu können. "The Moon Is A Harsh Mistress" ist eines dieser Bücher, das man mehrmals im Leben liest, ohne zweimal die gleichen Schlüsse daraus zu ziehen. Ich erinnere mich, es als Jugendlicher gelesen zu haben. Damals gefiel mir die Idee des Katapults, mit dem die Mondernte (und so manches mehr) auf die Erde geschossen werden. Die Actionszenen waren mir allerdings zu spärlich gesät und/oder nicht spannungsgeladen genug. Als ich den Roman aber nun zum zweiten Mal las, sprang mir besonders die Gesellschaftsvorstellung der zentralen Mondrebellen rund um Manuel ins Auge. Ihre politischen Überzeugungen (TANSTAAFL) und ihre Methoden (Organisation von subversiven Zellen) habe ich mittlerweile in mehreren Werken Heinleins wiedergefunden und ich bin schon gespannt, was ich entdecke, wenn ich das nächste Mal "The Moon Is A Harsh Mistress" lese.

  • Plot: Erde vs Mond(4/5)
  • Action: Mond vs Erde (4/5)
  • Spannung: Revolution! (4/5)
  • Charaktere: Manuel & Mycroft (5/5)
  • Humor: OMG, Mycroft! (4/5)
  • PASCH: (4/5)

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Robert A. Heinlein, The Moon Is A Harsh Mistress (1966)
Taschenbuch: 384 Seiten
Verlag: Orb Books; Auflage: TOR. (30. September 2007)
ISBN-10: 0312863551