Thrillerkolumne

Thriller ohne Leserstrahlen ist wie Spenser ohne Boston, Behr ohne Indianapolis, Reacher ohne Army, Rain ohne Judo, Parker ohne Plan, Bolitar ohne Win, Forsythe ohne Whisky, McGee ohne Florida, Hank ohne Baseball, Duffy ohne Beemer...

Muskulöse Memoiren

Schwarzenegger, Total Recall (2012)

Ein Mann kauft sich eine Boeing 747. Allein daraus könnte man ein Buch machen. In der Autobiographie Arnold Schwarzeneggers ist dies kaum mehr als eine Randnotiz.

Ja, Arnold hat ein Buch geschrieben. Es ist übrigens sein sechstes. In seiner totalen Erinnerung (Total Recall) berichtet der steirische Stier von seiner atemberaubenden Erfolgsstory. Seine Erzählung folgt der Logik des Bodybuilders. Jedes Kapitel eine neue Pose. Jede Pose ist perfekt einstudiert. Immer höher klettert der Junge aus den Bergen. Immer neue Ziele, immer neue Erfolge. Jede Sprosse hätte doch die letzte sein sollen, denkt man beim Lesen. Das muss es doch jetzt gewesen sein. Du hast es nach München geschafft, jetzt nach Amerika! Du bist Filmstar, Millionär und Mr. Universum, hast einen Sport neu definiert, handelst mit Immobilien, heiratest eine Kennedy, hast eine Restaurantkette, wirst Gouverneur von Kalifornien und kaufst dir einen Jumbo-Jet.

Was Arnold anpackt, gelingt ihm. Nach der Hälfte des mehr als 600 Seiten starken Wälzers ist das Muster deutlich erkennbar. Schwarzenegger setzt sich ein völlig übertriebenes Ziel, wird nicht ernst genommen und erreicht am Ende alles, was er sich vornahm. Freunde und Feinde macht er sich dabei. Wichtig erscheint ihm das zunächst nicht. Die Beerdigung des Bruders verpasst er und die des Vaters. Erst mit den Kindern hält etwas wie Familiensinn Einzug in die Programmierung des Terminators. Auch zu seinem außerehelichen Sohn, den er gemeinsam mit einer Angestellten vor 14 Jahren bekam, steht er. Anabolika verschweigt er nicht und auch seine vielen Tricks und Kniffe, mit denen er teils hinterhältig seine Gegner im Bodybuilding und im Film besiegte, beschreibt er.

Ach, Arnie...

Was für ein Bild bleibt nach der Lektüre von Schwarzenegger? Viel Neues decken die Memoiren nicht auf. Sie versammeln und ordnen die Infos über den Terminator. Keine neuen Gerüchte finden sich und keine schmutzige Wäsche gewaschen. Schwarzeneggers Co-Autor Peter Petre ist kein Ungeübter. Er stand schon Alan Greenspan zur Seite, als der seine Autobiographie verfasste. General Schwarzkopf vertraute ihm ebenso wie IBM-Chef Watson und Ex-Verteidigungsminister McNamara ([...]) Das zeigt, wie die Autobiographie einzuordnen ist. Denn eine klassische Promi-Biographie ist das nicht und auch kein Selbsthilfeleitfaden. Schwarzeneggers Buch ist eine politische Biographie. Hier schreibt jemand, der noch immer Ziele hat. Dutzende Male beschreibt Schwarzenegger, wie sehr ihn unerreichbare Ziele reizen und wie gerne er etwas zum ersten Mal macht. Doch welches politische Ziel kann jemand haben, der schon Gouverneur war und nicht Senator werden möchte? Schwarzenegger im Weißen Haus? Unmöglich! Laut Verfassung können nur Amerikaner Präsident werden, die in den USA geworden wurden. Da hilft kein Trick und kein Kniff.

Arnold Schwarzenegger wurde übrigens am 30. Juli 1947 in einem Teil Österreichs geboren, der zu diesem Zeitpunkt von den USA besetzt war... 
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Arnold Schwarzenegger (with Peter Petre), Total Recall. My Unbelievably True Life Story.
Taschenbuch: 646 Seiten 
Verlag: Simon and Schuster (2012) 
ISBN-10:978-1-4516-9705-6

Stolz und Vorurteil in Alabama

Wer Sklaverei, Ku-Klux-Klan, Waffennarren und Rednecks unterstützt oder hervorbringt, dem sollte man sich mit Vorsicht nähern. Aber ich wollte es so: Wohlfahrtsstaat und Mittelklasse in den USA 1944 bis 1972 ist das Thema meiner sozialhistorischen Dissertation. Weil die einzelnen Bundesstaaten bei wissenschaftlichen Betrachtungen bislang stets zu kurz kamen, wählte ich als Studienobjekt Alabama. Es stellt sich heraus, dass das eine gute Wahl war.

Warum ausgerechnet Alabama? Die Frage fällt immer wieder, wenn ich von meiner Zeit dort erzähle. Vor allem ist Alabama ein armer Staat. Sein Spitzname, "The Heart of Dixie", erinnert auch heute noch daran, dass Alabama Kern des Alten Südens ist. Die meisten Stereotype sind wenig schmeichelhaft. Zu Recht, dachte ich.

Vor und nach den Stunden in eiskalten Archiven wollte ich erfahren, was gemeint ist, wenn von Gegensätzen zwischen Arm und Reich die Rede ist, von Mega-Kirchen und vom Sterben der Innenstädte. Was ich am Ende erfuhr, war, was Vorurteile wert sind. 

Erste Station war Birmingham. Das Pärchen, das mich bei sich aufnahm, steckte in der Krise. Sie war arbeitslos. Er war nur in einem kurzen Zeitarbeitsverhältnis. Nie beklagten sie sich. Ich wunderte mich, bis mir klar wurde, dass sie Libertäre waren: Sie erwarteten keine Hilfe vom Staat und glaubten fest an die Selbstheilungskräfte eines freien Marktes. Wie mich das aufregte!

Als wir nach einigen Abendessen vertrauter waren, versuchte ich, mit ihnen zu diskutieren. Meine sozialdemokratische Überlegenheit zerschellte an ihren ruhig vorgetragenen Gegenargumenten. Sie glaubten, dass Menschen sich gegenseitig helfen sollten, weil sie das eben besser könnten als der Staat. Wie sollte ich sie als fürstlich umsorgter Gast vom Gegenteil überzeugen? Hätte ich daheim einen Fremden einfach so aufgenommen?
In Montgomery wohnte ich bei einer jungen Familie nahe der Militärbasis. Als Pilot fliegt der Vater regelmäßig nach Afghanistan. Sonntags besuchte die Familie die megachurch. Religiöse Fanatiker alle miteinander, kochte es in mir. Doch später sah ich, wozu sie ihre Kirchengemeinde nutzten.

Gemeinsam mit Gleichgesinnten waren sie dabei, ein altes Viertel der fast verwaisten Innenstadt zurückzuerobern. Sie organisierten einen öffentlichen Gemüsegarten, in dem sie gemeinsam mit Obdachlosen arbeiteten. Mit ihrer zweijährigen Tochter waren sie in dieses verrufene Viertel gezogen. Stück für Stück wollen sie so die Stadt zurückerobern. Sie hoffen fest darauf, dass andere Familien ihrem Beispiel folgen. Ihr Gottvertrauen und ihr Engagement haben mich, den atheistischen Berliner Sozialdemokraten, doch sehr ins Grübeln gebracht. Mit Vorurteilen will ich jetzt vorsichtiger sein.

Erschienen auf Zeit Online: http://www.zeit.de/gesellschaft/2013-01/leserartikel-usa-sozialstaat
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Johann, Stolz und Vorturteil in Alabama
ZEIT ONLINE (http://www.zeit.de/gesellschaft/2013-01/leserartikel-usa-sozialstaat)
19.01.2013

Simmons, Olympos (3/5)

Weiter geht's im Calibanigalopp...

Olympos ist die Fortsetzung des Science-Fiction-William-Shakespeare-Homer-Proust-Fantasy-Romans Ilium (Ilium. (Gollancz SF) (Gollancz) (GollanczF.)). Dan Simmons nimmt hierin die etwas unordentlich liegengelassenen Fäden des Vorgängers wieder auf und gibt sein Bestes, sie sinnvoll zu verknüpfen. Das gelingt ihm mit vielen aber nicht mit allen. Allerdings wird die wilde Fahrt, die zum Ende von Ilium aufgenommen wurde, zunächst nicht aufrechterhalten.

Zu Beginn der Geschichte ist der Krieg der Menschen gegen die Götter in vollem Gange. Die vereinigten Truppen der Griechen und Trojaner erhalten bitter benötigte Hilfe von den Moravecs, jenen androidenartigen Wesen, die schon im ersten Teil auftauchten. Jedoch bricht bald der Zwist zwischen den beiden ursprünglich verfeindeten menschlichen Gruppen schnell wieder aus und diese Geschichte nimmt eine unerwartete aber nicht überraschende Wendung...

Im zweiten Handlungsstrang geraten die Menschen auf der richtigen Erde (der Krieg der antiken Helden gegen den vereinigten olympischen Pantheon findet ja auf dem terra-geformten Mars statt) derweil mächtig unter Druck. Die Voynix, "the artists formerly known as Menschendiener", die nun Menschenkiller sind, drohen die letzten Reste der Menschheit zu vernichten. Apropos Voynix, ihr Name basiert auf dem Voynich-Manuskript (The Voynich Manuscript: The Mysterious Code That Has Defied Interpretation for Centuries), das wohl genauso rätselhaft ist wie die Herkunft und die Ziele der Roboter mit Grashüpferfunktionen. Das Manuskript kann man sich auch komplett und in guter Auflösung online auf den Seiten der Yale University anschauen. Dies ist nur ein kleines Beispiel für die vielen Details, Andeutungen und Zitate, die die den eigentlichen Reiz auch dieses Werkes von Simmons ausmachen. Das bereitet teilweise so viel Freude, dass man ihm die ein oder andere Länge, manche nicht aufgelöste Rätsel oder nicht fortgesetzte Teilgeschichten (was ist z.B. mit Patrokles?) verzeiht.

In einer solch kurzen Rezension den vielen Facetten, Querverweisen und schönen Ideen gerecht zu werden, ist einem Sterblichen leider nicht gegeben. Deswegen konzentriere ich mich auf die Begründung für die Sternvergabe.

Den ersten Stern gibt es aus meiner persönlichen Perspektive für die Kunst, so viele verschiedene Themen, Konzepte und Ideen zu vereinen. An anderer Stelle (war es im Vorwort?) hat Simmons den Ursprung dieser Gabe erläutert: Er habe als Kind kein Problem damit gehabt, Spielzeugsoldaten gemeinsam mit Dinosauriern gegen Cowboyfiguren antreten zu lassen. Seiner Phantasie hat diese Vorbereitung keinen Abbruch getan.

Stern Nummer zwei - wieder subjektiv - erhält Olympos für seine Länge. Für seine Länge? Ja. Auch wenn das ab und zu bemängelt wird, gehört es für mich zu so einem Wälzer dazu, dass er eben dick ist. Die Geschichte entfaltet sich und dazu braucht es nun einmal Platz. Wenn Simmons nur die Actionszenen aneinandergekittet hätte, hätte es einen knalligen, aber eben keinen so zum Versinken einladenden, Roman gegeben. Und sonst wär's ja auch keine Space Opera, sondern ein Sommer- und kein lauschiger Herbstroman. So nämlich.

Den dritten Stern haben sich Mahnmut und Orphu of Io (letzterer besonders hart) erarbeitet. Ihre Dialoge und vor allem ihre Freundschaft gehören für mich in die gleiche Liga wie die zwischen Frodo und Sam oder Mike und Manuel Garcia O'Kelly (The Moon is a Harsh Mistress (S.F. Masterworks)).

Dabei bleibt es aber auch. Die schon in anderen Rezensionen erwähnten rassistischen, anti-muslimischen Andeutungen und Verweise Simmons' nerven am Ende doch zu gewaltig. Und auch wenn die ausufernde Geschichte mir Spaß gemacht hat, stört es mich, dass am Ende einige wichtige Dinge nicht mal andeutungsweise aufgeklärt werden. Damit bleibt es bei drei Sternen und der wichtigen Warnung, die ja manchmal nicht zutrifft, die aber bei Olympos definitiv angebracht ist: Dieser Roman kann nicht verstanden werden, wenn man vorher nicht Ilium, also den ersten Teil, gelesen hat.
 
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Dan Simmons, Olympos.
912 Seiten
ISBN: 0575078820
Verlag: HarperCollins e-books (13. Oktober 2009)

LEVIEN, Thirteen Million Dollar Pop (4/5)

Mehr von Behr

David Levien hält an Frank Behr fest. Gott sei Dank. Der werdende Vater Behr hat sich mittlerweile in einer Sicherheitsfirma, die auch Politiker beschützt, vermeintlich mit seinem neuen, verantwortungsvollen Leben arrangiert. Bis jemand den Fehler macht und mit einer automatischen Waffe in seine Richtung schießt. Eine neue Erfahrung für Behr, der gleich feststellt, dass er kein Fan von dieser Art der Begrüßung ist.

Von da an fehlt es nicht mehr an solider Action und guter alter Detektivarbeit. Behr ermittelt auf eigene Faust, die in der Folge auch das eine oder andere Mal durch die Gegend fliegt.

Ein Genuss ist auch der wunderbar lakonische Schreibstil Leviens. Erst dieser trockene Stil macht Behr zu einem wirklichen Aspiranten für die Hall of Fame der toughen Jungs. Auch positiv und hart erarbeitet: Die zahlreichen, guten Actionszenen, bei denen kein Auge trocken und keine Nase unblutig bleibt, verdienen Respekt. Wie sich das gehört, hat es besonders das Finale in sich.

Trotzdem klingelt die PASCH-Glocke nicht. Trotz gegenläufiger Meinung der Zeitschrift "Indianapolis Star" auf dem Buchdeckel finde ich den Plot des Buches nicht so überragend. Die Fronten sind relativ schnell klar, die Beteiligten an der Verschwörung erkennbar. Da auch das jedoch zur grundsoliden und ehrlichen Action des Romans beiträgt, kann ich Leviens neuestes Werk nur wärmstens empfehlen.
  • Plot: (3/5) 
  • Action: (4/5) 
  • Spannung: (4/5) 
  • Charaktere: (5/5) 
  • Humor: (4/5) 
  • PASCH: (4/5)
Was mir besonders gut gefallen hat, war in diesem Fall Behrs Antagonist. Ein guter Schurke hat noch so manchen Thriller gerettet. In diesem Fall haben wir es mit einem fiesen Waliser zu tun. Ähnlich wie Behr wird auch dieser langsam älter, leistet sich aber trotzdem keine Fehler. Er allein pimpt die C-Komponente der PASCH-Skala von "13 Million Dollar Pop".

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David Levien, Thirteen Million Dollar Pop.
Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
Verlag: Doubleday (9. August 2011)
ISBN-10: 0385532539



Simmons, Ilium (5/5)

Menelaos, Myrmidonen und Moravec Mahnmut

"Ilium" habe ich zufällig entdeckt und es war damals mein erster Roman von Dan Simmons. Mich hat die Idee gereizt, die Ilias mit Science Fiction zu kombinieren, griechische Helden mit Raumfahrt und Androiden mit klassischer Literatur. Das große Aber war für mich von Anfang an, dass bei solchen Geschichten die Idee meist spannender ist als die tatsächliche Umsetzung. Hier aber ist es fast umgekehrt. Drei verschiedene Erzählpfade werden intelligent entwickelt und teilweise miteinander verwoben. Der Aufbau hat mich an die besseren Romane von Michael Crichton (The Lost World, Timeline, ja, wirklich) erinnert, bei denen getrennt voneinander und aus verschiedenen Perspektiven die gleiche Geschichte erzählt wird.

Ich-Erzähler und wahrscheinlich wichtigster Protagonist ist Professor Hockenberry, ein Homer-Forscher aus unserer Zeit. Zugegeben, jetzt wird's ein bisschen wild. Ist aber so: Er berichtet für die Götter live von den Geschehnissen bei der Belagerung des antiken Trojas. Immer tiefer gerät er in die Welt und die Intrigen der Götter, die das Schicksal der Menschen nicht nur beobachten, sondern auch zu einem guten Teil beeinflussen. Wie genau er in seine Situation geraten ist, weiß er über lange Strecken des Romans nicht. Klar scheint aber zu sein, dass er von den Göttern wiederbelebt wurde und dabei sein Gedächtnis zum größten Teil verlor. 

Die zweite Geschichte handelt parallel von einer Gruppe Maschinen und Androiden, die von den Jupitermonden aus aufbrechen, um eine wichtige Mission auf dem Mars auszuführen. Mahnmut, einer der Moravecs (eine Form künstlicher Intelligenz benannt nach dem österreichisch-amerikanischen Theoretiker Hans Moravec: Robot: Evolution from Mere Machine to Transcendent Mind) ist Shakespeare-Liebhaber und offenbart in harmonisch eingebauten Geschichten immer wieder seine grundlegende Kenntnis und seine große Liebe zum Barden. 

Der dritte Handlungspfad spielt auf der postapokalyptischen Erde, wo die Menschen vollkommen unbeschwert aber auch gedankenlos vor sich hinleben. Bis sie eines Tages von einigen Neugierigen und einigen Außenseitern aus ihrer Lethargie gerissen werden.

Das alles ist so unbeschwert und balanciert miteinander kombiniert, dass es mir wirklich Spaß gemacht hat, die Andeutungen und Querverweise zu entdecken, von denen Simmons reichlich Gebrauch macht. Beispiel: Mahnmuts bester Freund, Orphu of Io, ist Proust-Liebhaber. In seinen Gesprächen mit Mahnmut während ihrer gemeinsamen Mission (die wiederum sehr an Frodos und Sams Abenteuer erinnert) lernt man mehr über Prousts Werk und entdeckt immer neue Anspielungen an die großen Autoren, die sich in "Ilium" verstecken und Pate für einige der dort verwendeten Ideen standen.



Was mir an Simmons erstem Teil seines Ilim/Olympos-Zweiteilers merkwürdig aufgestoßen ist

Aus der Perspektive des Ich-Erzählers Hockenberry wird ein Angriff auf Troja an einer Stelle mit den terroristischen Attacken vom 11. September und (noch gravierender) mit der Greul in Auschwitz in eine Reihe gestellt. Das wirkt ebenso befremdlich wie die besondere Rolle, die den Juden in der Geschichte auf der post-apokalyptischen Erde zuteil kommt. In einem Abstecher der Abenteurer nach Jerusalem wird etwas mehr über die Besonderheit der Juden gesprochen, die nicht nur Opfer muslimischen Hasses wurden, sondern auch durch eine (genetische?) Eigenart ein spezielles Schicksal erlitten. Die Stellen sind kurz und nicht so gravierend für das weitere Geschehen, dass es mich vom Weiterlesen abgehalten hat. Sollte sich hinter diesen kuriosen Schilderungen ein verqueres Weltbild des Autors verstecken? Ich habe mich dafür entschieden, mit Simmons in diesen Punkten nicht übereinzustimmen. Genauso wie ich mit H.G. Wells (Er schildert immer wieder das Tabu, schwarze Soldaten einzusetzen, z.B. in: Wenn der Schläfer erwacht: Roman) und Jules Verne (die Schilderung des afroamkerikanischen Dieners Nab, den er als Affen beschreibt: The Mysterious Island (Wordsworth Classics)) teilweise nicht übereinstimme, wenn diese von der Unterlegenheit asiatischer und afrikanischer Menschen sprechen. Auch sie hätten es schon besser wissen können.

In "Ilium" kann man eintauchen und sich verlieren. Die ausgeflippten Ideen des Autors und die wahnwitzigen Kombinationen, über die man immer wieder stolpert, ergeben irgendwann doch einen Sinn. Dieser Roman bietet eine neue Version der Ilias, stellt Zukunftsvisionen und technische Träume dar, hat gruselige und schockierende Momente und macht einfach nur Spaß.

  • Plot: (5/5)
  • Action: (5/5)
  • Spannung: (5/5)
  • Charaktere: (4/5)
  • Humor: (4/5)
  • PASCH: (4/5)
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Dan Simmons, Ilium
Taschenbuch: 642 Seiten
Verlag: Gollancz; New Ed (1. März 2004)
ISBN-10: 0575075600




Heinlein, The Moon Is A Harsh Mistress (4/5)

Es ist angerichtet!

Mit "The Moon Is A Harsh Mistress" schmeißt Küchenchef Robert A. Heinlein alle Revolutionen der jüngeren Menschheitsgeschichte in einen Topf und lässt sie 384 Seiten lang köcheln. Gewürzt wird die Mischung mit Theorien zu interstellarem Handel, künstlicher Intelligenz und völlig ungewohnten Geschlechterrollen. Serviert wird das Gericht dann vom einarmigen, stoischen und libertär angehauchten Oberkellner Manuel.

Die Bewohner des Mondes, die sich selbst Loonies nennen, kämpfen in diesem Science Fiction-Roman um ihre Unabhängigkeit von der Erde. Genauer gesagt möchten sie sich von dem Konglomerat lossagen, das den Handel zwischen Mond und Erde kontrolliert und das die Loonies ausbeutet. Die politische Landschaft der Erde ist mittlerweile völlig verändert. Obwohl Heinlein auf die neue Situation dort nur am Rande eingeht, findet sie sich im Einklang mit anderen seiner Bücher.

Die wohl wertvollste Unterstützung erhalten die Mondbewohner (alles ehemalige Sträflinge oder deren Abkömmlinge) von dem eigentlichen Protagonisten des Romans: dem Computer Mike (a.k.a. Mycroft Holmes, ein augenzwinkernder Verweis auf den genialen Bruder Sherlocks), der erst ein eigenes Bewusstsein erlangte und sich dann mit Manuel anfreundete. Gemeinsam bilden sie einen Teil der Zelle, die schließlich dafür verantwortlich ist, dass die offene Rebellion auf dem Mond ausbricht.

Wie in gelungener Science Fiction üblich zeigt der Roman das Bild einer Gesellschaft, die gerade weit genug von unserer entfernt ist, um noch die Parabel verstehen zu können. "The Moon Is A Harsh Mistress" ist eines dieser Bücher, das man mehrmals im Leben liest, ohne zweimal die gleichen Schlüsse daraus zu ziehen. Ich erinnere mich, es als Jugendlicher gelesen zu haben. Damals gefiel mir die Idee des Katapults, mit dem die Mondernte (und so manches mehr) auf die Erde geschossen werden. Die Actionszenen waren mir allerdings zu spärlich gesät und/oder nicht spannungsgeladen genug. Als ich den Roman aber nun zum zweiten Mal las, sprang mir besonders die Gesellschaftsvorstellung der zentralen Mondrebellen rund um Manuel ins Auge. Ihre politischen Überzeugungen (TANSTAAFL) und ihre Methoden (Organisation von subversiven Zellen) habe ich mittlerweile in mehreren Werken Heinleins wiedergefunden und ich bin schon gespannt, was ich entdecke, wenn ich das nächste Mal "The Moon Is A Harsh Mistress" lese.

  • Plot: Erde vs Mond(4/5)
  • Action: Mond vs Erde (4/5)
  • Spannung: Revolution! (4/5)
  • Charaktere: Manuel & Mycroft (5/5)
  • Humor: OMG, Mycroft! (4/5)
  • PASCH: (4/5)

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Robert A. Heinlein, The Moon Is A Harsh Mistress (1966)
Taschenbuch: 384 Seiten
Verlag: Orb Books; Auflage: TOR. (30. September 2007)
ISBN-10: 0312863551


Glukhovsky: Metro 2034 (2/5)

Knallfrosch


Metro 2034 ist der zweite Roman von Dmitry Glukhovsky, der in der postapokalyptischen Welt des Moskauer U-Bahnsystems spielt. In dieser losen Fortsetzung macht sich ein alter Mythensammler, Homer, von der Peripherie des Tunnelsystems auf zu dessen Zentrum. Begleitet wird er vom aggressiven Einzelkämpfer Hunter, der bereits in Metro 2033 eine Rolle gespielt hatte, und dem Mädchen Sascha. Noch immer dient das U-Bahnsystem als Refugium für alle, die den Atomkrieg überlebt haben. Noch immer bedrängen Mutanten und andere Monster die Bewohner der Stationen.


Da die Station des Erzählers Homer vom Rest der U-Bahn-Welt getrennt wurde, muss das Trio zahlreiche Umwege und Monsterköpfe einschlagen, bevor es in die zivilisierteren Bereiche vordringen kann. Homer bemüht sich, seinem Namen alle Ehre zu machen und seine Reise schriftlich festzuhalten. Lange ist unklar, weshalb der Gewaltfanatiker Hunter den schlaffen Frührentner überhaupt mitnimmt.

Leider scheitert der Roman an sämtlichen Messlatten, die sein Vorgänger anbringen konnte. Wo der erste Teil noch mit vielen unterschiedlichen Entwicklungen der Menschen unter der Erde aufwarten konnte, wird die Handlung im zweiten viel zu esoterisch. Auch die Überraschungen und Wendungen von Metro 2033 bleiben aus. Die wenigen gelungenen Actionszenen entschädigen nicht für die Längen des Romans. Die Protagonisten sind langweilig. Lustig wird es an keiner Stelle.

  • Plot: (2/5)
  • Action: (2/5)
  • Spannung: (1/5)
  • Charaktere: (1/5)
  • Humor: (0/5)
  • PASCH: (2/5)

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Dmitry Glukhovsky, Metro 2034
Taschenbuch: 528 Seiten
Verlag: Heyne Verlag (5. Oktober 2009)
ISBN-10: 3453533011


Child, A Wanted Man (5/5)

Per Anhalter durch die Wand

Jedes Jahr gibt es den Valentinstag. Es gibt die Geburtstage der Kinder, der Eltern und Geschwister und der Ehefrau. Dann sind da noch Weihnachten und Ostern. Und es gibt Reacher-Tag. Heute ist Reacher-Tag.

Hol' schon mal den Wagen, Harry! (2/5)

Michael Connelly, Nine Dragons (2009)

Michael Connellys Romanfigur Hieronymus "Harry" Bosch zieht es diesmal nach Hong Kong. Allerdings nur für 39 Stunden. Länger braucht das Mannsbild aus L.A. nicht, um seinen Auftrag dort zu erledigen. Dass dabei wieder zahlreiche Schurken auf der Strecke bleiben, steht außer Frage.

Moment! Hong Kong? War da nicht was? Richtig: Triaden und so. Mitten in die Welt der chinesischen Version der Mafia wird Bosch dabei schon in Kalifornien gezogen. Dank der globalisierten Verbrecherbande aus Fernost entwickelt sich ein zunächst banal erscheinender Fall zum transpazifischen Räuber-und-Gendarm-Spiel für Bosch und seine Kollegen. Connellys Charaktere bleiben den altbekannten Holzschnittmustern durchweg treu. Außergewöhnlich für Boschs Abenteuer ist allein das Ausmaß an Action und Verfolgungsjagden. Noch ungefähr zwei Bücher trennen Connelly von der Chance, sich als Schreiber der Fortsetzung von "Derrick" zu bemühen. Aber halt: Derrick war wenigstens manchmal spannend. Aber auch bei Stefan und Harry wusste man immer schon von Anfang an, wer der Mörder ist.

Ansonsten ist alles an diesem Fall vorhersehbar. Die vierhundertachtzig Seiten warten nur mit einer einzigen Überraschung auf. Genau hier hätte es auch die Chance gegeben, der Geschichte wenigstens einmal die versprochene "persönliche" Note zu geben. Aber? Fehlanzeige. Um die Überraschung nicht zu vermiesen, kann ich hier leider nicht weiter darauf eingehen. Jeder "Nine Dragons"-Leserin sei aber versprochen, dass auch die besagte Situation "Hibernator Hieronymus" zu keiner Gefühlsregung verleiten wird.


Was bleibt, ist ein gutes Mittel, um kurze Busfahrten lang erscheinen zu lassen. Wer mal wieder die Nachttischlampe rechtzeitig ausschalten möchte, muss hier zugreifen.


  • Plot: (2/5)
  • Action: (3/5)
  • Spannung: (1/5)
  • Charaktere: (2/5)
  • Humor: (2/5)
  • PASCH: (2/5)
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Michael Connelly, Nine Dragons
Taschenbuch: 480 Seiten
Verlag: Vision; Auflage: Reprint (1. August 2010)
ISBN-10: 0446561959


Meilenstein (5/5)

John L. Parker, Jr., Once a Runner (1978)

Quenton Cassidy ist Läufer. Als sogenannter Miler ist die englische Meile seine Wettkampfdistanz. Zu Beginn des Romans "Once a Runner" ist er im wahrsten Sinne des Wortes auf dem besten Weg, die vier Minuten, eine magische Grenze für alle Miler, zu unterbieten. Immer mehr ordnet Cassidy alles andere in seinem Leben dem Laufen unter. Als Bruce Denton, Goldmedaillengewinner und Cassidys Kommilitone, beginnt, ihm unter die immer dünner werdenenden Arme zu greifen, wird das Trainingspensum des talentierten Milers immer abstruser.

Moment! Steht da im Header nicht "Thriller | Science-Fiction | Historischer Roman"? Was soll denn bitte die Besprechung eines Sportbuches hier? Nun. Kaum ein Thriller birgt derart fesselnde Einsichten in menschliches Leid, wie Parkers Beschreibungen der dritten Runde auf der Tartanbahn. Kein Alien und kein Roboter kann sich selbst so quälen wie Quenton. Darüber hinaus sind seine Leistungen wohl nur als historisch zu beschreiben. Außerdem spielt der Roman in den 1970er Jahren und lässt sich so wahrscheinlich wirklich am besten in der Sparte der historischen Romane verorten.

Zurück zum Thema. "Once a Runner" bietet Einblick in die Psyche des Läufers. Darüber hinaus ist Cassidys Geschichte die eines Menschen, der dem einen Ziel alles unterordnet und der nur antworten kann, dass es keins gibt, wenn ihn jemand nach dem Geheimnis seines Erfolgs fragt. 

3:43,13 Minuten: Das ist die schnellste Zeit, die je ein Mensch über die längste Mittelstreckendistanz, die Meile, gelaufen ist. Eine Meile ist 1609,344 Meter lang. Wer den Selbstversuch wagt, vier Runden im Stadion so schnell wie möglich rennt, seine Zeit stoppt und danach "Once a Runner" liest, wird die Seiten dieses Buches nur noch mit einem umblättern: mit Ehrfurcht.

  • Plot: Wie wird man Miler? (4/5)
  • Action: Ab geht die Post (5/5)
  • Spannung: Vier Runden Himmel und Hölle (3/5)
  • Charaktere: Quenton Cassidy (5/5)
  • Humor: Bleibt nicht auf der Strecke (4/5)
  • PASCH: (5/5)
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John L. Parker, Jr., Once a Runner
Gebundene Ausgabe: 416 Seiten 
Verlag: Delacorte Press (27. September 2011) 
ISBN-10: 0385344325