Thrillerkolumne

Thriller ohne Leserstrahlen ist wie Spenser ohne Boston, Behr ohne Indianapolis, Reacher ohne Army, Rain ohne Judo, Parker ohne Plan, Bolitar ohne Win, Forsythe ohne Whisky, McGee ohne Florida, Hank ohne Baseball, Duffy ohne Beemer...

Kronos, King und Kennedy (5/5)

Stephen King, 11/22/63 (2011)

Was wäre gewesen, wenn John F. Kennedy am 22. November 1963 nicht ermordet worden wäre? Dies ist eine der Fragen, von denen Stephen Kings Zeitreiseroman 11/22/63 lebt. Dazu kommen die für Zeitreisegeschichten üblichen Vermutungen über die Konsequenzen von Veränderungen in der Vergangenheit. Kann man den Lauf der Geschichte beeinflussen? Wie wirken sich Eingriffe in die Geschehnisse der Vergangenheit aus? Und warum sollten alle Vergangenheitstouristen unbedingt den Schmetterlingseffekt im Hinterkopf behalten?

Der Roman beginnt im hier und heute. Der Lehrer Jake Epping ist mit seinem Leben nicht wirklich zufrieden. Als Al Templeton, der Inhaber eines alten Diners, eines Tages Jake in das Geheimnis eines unglaublichen Phänomens in dessen Vorratskammer einweiht, ändert sich für Jake alles. Fortan spielen erst Al und Jake mit den Möglichkeiten, die ihnen eine wundersame Verbindung zur Vergangenheit bietet, herum. Sie retten Familien vor mörderischen Vätern und Mädchen vor Jagdunfällen.

Kings Zeitreise basiert auf einer Art Blase, in der die beiden unterschiedlichen Zeiten, 2011 und 1958 miteinander verbunden sind. Nachdem Al bereits verstanden hat, wie man die Gegenwart manipulieren kann (und wo man konkurrenzlos billig Burgerfleisch besorgen kann), überzeugt er Jake, zu einer weit größeren Mission aufzubrechen. Präsident Kennedy soll vor seinem Attentäter Oswald gerettet und der schwarze Tag von Dallas revidiert werden: „Get rid of one wretched waif, buddy, and you could save millions of lives.“

Leider führt der Tunnel in die Vergangenheit immer nur zu einem spezifischen Datum und so muss Jake, der in der Vergangenheit zu George Amberson wird, fast fünf Jahre seine Mission vorbereiten. Al sei Dank kann er dabei nicht nur auf minutiöse Unterlagen zum Leben Lee Oswalds zurückgreifen, sondern auch auf das ein oder andere Sportresultat. Mit Wetten lässt sich bequem Geld verdienen. Das wusste auch schon Marty McFly. Dass man jedoch nach zu auffälligen Wettgewinnen Ärger mit der Mafia bekommt, musste dieser nicht erfahren.

King hat einen guten Zeitreiseroman geschrieben. An vielen Stellen fließt Nostalgie nach den 50er und 60er Jahren aus den Seiten. Fast alles war anders, vieles besser, manches schlimmer (der von Giftefeu gesäumte Pfad zum Brett über dem Fluß). Die Geschichte ist klar strukturiert, das Ende (sonst nicht Kings Stärke) erstaunlich gut. Es gibt leider nur wenige Überraschungen, was der Spannung aber keinen Abbruch tut. Neben dem Oberschurken Oswald tummeln sich noch andere böse Gestalten und Albträume durch das Land des Gewesenen. Dazu kommt ein erstaunlich trockener und böser Humor, der einem über die ein oder andere Länge hinweghilft.

Zeit ist zentral; auch was die Länge des Buches betrifft. Mit Seiten hat King noch nie gespart. 11/22/63 ist trotzdem ein schnell zu verschlingendes, spannendes und intelligentes Buch. Für Freunde der gepflegten Zeitreise ist Jake Eppings Abenteuer ein Genuss – nicht nur in der Urlaubszeit.

P.S.: Hintergrundinfos zum Verreisen entlang des Zeitstrahls bietet übrigens: Blask u. Windhorst, Zeitreisen, 2009.

  • Plot: Klar und gut (4/5)
  • Action: Einziger Schwachpunkt (2/5)
  • Spannung: Wie die Zeit vergeht! (5/5)
  • Charaktere: Epping rettet JFK vor LHO (5/5)
  • Humor: Zeit zu lachen (5/5)
  • PASCH: (5/5)
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Stephen King, 11/22/63.
Format: Kindle Edition
Dateigröße: 1280 KB
Seitenzahl der Print-Ausgabe: 866 Seiten
ISBN-Quelle für Seitenzahl: B0064I1KGA
Verlag: Hodder (5. Juli 2012)
ASIN: B005LCYR7Y


Nebenjob Vampirjäger (3/5)

Seth Grahame-Smith, Abraham Lincoln: Vampire Hunter (2011)

"Abraham Lincoln: Vampire Hunter" ist eine fiktive Ergänzung zur Biographie Abraham Lincolns. Die Geschichte entwickelt sich entlang des Lebenslaufs des 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Was viele nicht wussten: Abraham Lincoln war Zeit seines Lebens Vampirjäger.

Wie er dazu wurde und was für Methoden er anwendete (die berühmte Axt des "rail splitters" etwa), verknüpft Autor Seth Grahame-Smith interessant und an vielen Stellen innovativ mit der gesicherten Überlieferung des Lebens von "Old Abe". Die Geschichte lebt von der guten Idee, die dem Roman zugrundeliegt. Das Gerüst der beschriebenen Geschehnisse ist unterhaltend und an vielen Stellen erscheint die Erklärung, dass an der einen oder anderen Stelle Vampire ins Räderwerk der amerikanischen Geschichte eingegriffen haben, recht plausibel. Leider gelingt es Grahame-Smith nicht, dieses Gerüst mit der Spannung und Liebe zu füllen, die seiner Grundidee innewohnt. Wie auch bei "Pride and Prejudice and Zombies" fasziniert zwar der Gedanke, dass gruselige und geheime Gestalten im Hintergrund Einfluss ausübten. Leider ist die Story jedoch an vielen Stellen zu langatmig und zu beschreibend geraten. Den größten Aha-Effekt hatte ich eigentlich schon beim Lesen der Buchbeschreibung. Was zwischen den Buchdeckeln passiert, kommt da leider nicht mehr ran.

Klar: Auf jedes beliebige Ereignis in Lincolns Leben lässt sich die Erklärung mit den Vampiren im Hintergrund nicht anwenden. Das heißt aber nicht, dass jedes Ereignis, auf das sich die Erklärung anwenden lässt, unbedingt verwertet werden muss. Ein paar größere Sprünge, ein paar längere Pausen hätten der Dramaturgie gut getan. Dadurch hätten zum Beispiel weniger Auseinandersetzungen mit Vampiren geschildert werden können diese aber dann dafür aber umso intensiver. Die wunderbare Grundidee wäre dadurch nicht verloren gegangen.

Was bleibt ist ein schönes Crossover für alle, die sich für die Geschichte der Vereinigten Staaten interessieren, die Vampirgeschichten etwas abgewinnen können und die einen Faible für gut konstruierte Verschwörungstheorien haben. Was dem nächsten Roman von Grahame-Smith (Washington der Werwolf? Franklin und die Aliens?) gerne noch hinzugefügt werden darf, sind bessere Dialoge, spannendere Actionszenen und ein etwas weniger linearer Verlauf der Erzählung.

Die Verfilmung des Buchs kommt noch in diesem Jahr in die Kinos. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Spielberg-Produktion, in der Liam Neeson Lincoln mimen wird.

  • Plot: Verschwörung (3/5)
  • Action: Vampire (3/5)
  • Spannung: vage (2/5)
  • Charaktere: Vampire (4/5)
  • Humor: Vitzig (3/5)
  • PASCH: (3/5)

P.S.: Die besten Romane mit Vampiren sind und bleiben damit die Bücher der Joe Pitt-Reihe von Charlie Huston. Der ist eh der beste.
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Seth Grahame-Smith, Abraham Lincoln: Vampire Hunter
Taschenbuch: 352 Seiten
Verlag: Grand Central Publishing (15. März 2011)
ISBN-10: 1455500224

Morgen! Gut geschlafen? (2/5)

James Patterson, I, Alex Cross (2010)

Alex Cross ist Vater, Ermittler und Supercop, wie man ihn ganz selten trifft. Nicht nur sein Familienleben ist harmonisch, sondern auch seine Ermittlungen. Das einzig Bewegende an diesem "Thriller" ist die ungewollte Ironie, dass die Oma von Cross künstlich am Leben erhalten werden muss. Dass sie am Ende noch die Kurve kriegt, steht aber in keinem Zusammenhang mit der langweiligen Geschichte, die man hier erzählt bekommt. Genau wie seine Großmutter kauert James Pattersons Held seit einigen Romanen an der Schwelle zum klinischen Tod. Allein, er kommt nicht rein ins Nirwana der Top-Profiler.

Der Plot wäre schnell erzählt, wenn es einen gäbe. Wenn Morde nicht mehr funktionieren, Brutalität nicht mehr zieht und perverse Sexspiele keinen mehr hinter dem Ofen vorlocken, dann kombiniert man die drei eben rasch. Patterson ist gewiss nicht der einzige, der dies tut. Ihm gelingt es aber diese drei - ja doch eigentlich irgendwie schon sehr aufladbaren Begebenheiten - so lustlos herunterzuspulen, dass es wirklich und wahrhaftig schwer fällt, wachzubleiben. Wenn andere amerikanische Krimis als Pageturner beschrieben werden, dann ist dass hier ein Müdeturner.

Also, wer Schlafmangel hat, wendet sich am besten an Dr. Cross. Der hat genau das richtige.

  • Plot: War was? (2/5)
  • Action: Ach so, na klar, aha (2/5)
  • Spannung: gähn (1/5)
  • Charaktere: schnarch (1/5)
  • Humor: definitiv unfreiwillig (2/5)
  • PASCH: Wurst (2/5)

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James Patterson, I, Alex Cross
Taschenbuch: 480 Seiten
Verlag: Arrow (10. Juni 2010)
ISBN-10: 0099514591


Bombe (4/5)

Dmitry Glukhovsky, Metro 2033 (2008)

Der postapokalyptische Roman "Metro 2033" folgt dem jungen Mann Artyom bei dessen Odyssee durch das Moskauer U-Bahn-System. Die Welt, die Autor Dmitry Glukhovsky beschreibt, ist im wahrsten Sinne des Wortes in sich geschlossen. Die Abenteuer Artyoms erinnerten mich an vielen Stellen an Bilbos Reise zum Einsamen Berg.

Ein bleibender Eindruck (4/5)

Lee Child, Worth Dying For (2010)

Jack Reacher ist zurück. Dabei schafft der toughe Ex-Militärpolizist erstmals das, wovon jeder seiner Fans bislang wusste, dass es ihm unmöglich ist: Er ist richtig schnell. So schnell, dass dieser neue Teil der Serie bemerkenswert früh nach dem letzten Teil erscheint. Leser des letzten Streichs von Reacher ("61 Hours") wussten aber schon, dass Teil 15 der Saga so bald publiziert werden würde. War dieser doch nicht nur im letzten Buch angekündigt, sondern auch durch einen fiesen Cliffhanger - den ersten der gesamten Serie - nötig geworden. Hier setzt auch gleich der erste Kritikpunkt an. Wenn es schon einen Cliffhanger, also einen abrupt unterbrochenen Spannungsbogen am Ende eines Teiles, geben muss, dann (***SPOILER ANFANG) würde ich mir doch wünschen, dass der nächste Teil irgendwie daran anknüpft. Das ist aber hier so gut wie gar nicht der Fall. Reacher tun zwar am Anfang noch ein bisschen die Ärmchen weh, was aber dank der Hilfe des Doktors schnell behoben wird. Für diesen sinnlosen Cliffhanger gibt es dann auch den ersten halben Stern Abzug.

Der nächste halbe Stern entgeht der Kampfmaschine aus Berlin auch wieder aus einem Grund, für den er eigentlich nicht so recht etwas kann: Seine Feinde haben in diesem Teil einfach nicht das Format, das die letzten hatten. Wer erinnert sich nicht gerne an Hook Hobie (Tripwire), die verrückte Afghanin (Gone Tomorrow) oder natürlich an Plato (61 Hours) - da können die Duncans beileibe nicht mithalten und auch von den Syrern und Iranern hätte ich mir ein bisschen mehr versprochen. (SPOILER ENDE***)

Die vier von fünf Sternen hat sich dieses Buch verdient, weil es genau das gehalten hat, was man sich von einem Lee Child-Buch verspricht. Das sind (1. Stern) Spannung, (2. Stern) ein wunderbar und mit viel Liebe konstruierter Plot, (3. Stern) ein Protagonist, mit dem man sich identifizieren will, bei dem man aber vorsichtshalber vorher noch einmal nachfragen würde, ob ihm das Recht ist und (4. Stern) ein minimalistischer aber in Erinnerung bleibender Stil, der den Leser in einen Winkel Amerikas mitnimmt, den man sonst nicht besuchen würde.

Wer die Reihe liebt, also eine "Reacher Creature" ist, wird den Teil lesen oder hat ihn schon durch. Wer Jack Reacher noch nicht kennt, kann eigentlich mit jedem Teil einsteigen - die charakterliche Entwicklung Jack Reachers ist vergleichbar mit der eines großen grauen Steins.

Übrigens: (***SPOILER ANFANG) Der "bleibende Eindruck" aus der Überschrift bezieht sich auf Reachers Nase und beendet deren Karriere als ungebrochenen Stolz ihres Träger. (SPOILER ENDE***)

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Lee Child, Worth Dying For
Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
Verlag: Transworld Publishers (30. September 2010)
ISBN-10: 0593065662















Nice! Will. (4/5)

Carsten Stroud, Niceville (2012)

Niceville. Das ist ein typisches kleines Städtchen im tiefen Süden der USA. Typisch? Eigentlich nur, wenn man nicht genauer hinschaut. Seit vielen Jahren verschwinden hier überdurchschnittlich viele Menschen spurlos. Die Geschichte beginnt damit, dass ein kleiner Junge quasi vom Erdboden verschluckt wird. Wenige Seiten später kommt es zu einem äußerst blutigen Ende einer Verfolgungsjagd, bei der eine Gruppe von Bankräubern ihren Häschern entkommt. Mittlerweile lässt ein perverser Misanthrop seinen Frust solange an Schwächeren aus, bis er sich mit den Falschen anlegt.

Wem das noch nicht genug Geschichten in einem Buch sind, der kann sich auf Byron Deitz und seine Verstrickungen mit den Chinesen freuen. Deitz ist außerdem verschwägert mit dem wichtigsten Ermittler im Falle des eingangs verschwundenen Jungen. Dieser Junge taucht eines Tages an einem recht obskuren Ort wieder auf und befeuert damit erneut die dunkle Legende des Fluchs, der auf dem kleinen Städtchen liegen soll und vor dem selbst die Indianer nicht sicher waren noch sicher sind.

Dass dies alles funktioniert, ist dem großen handwerklichen Geschick Strouds geschuldet. Die Kapitelüberschriften, die angenehmen, abwechselnden Längen der Kapitel ergänzen die große Stärke des Romans: seine Charaktere. LESERSTRAHLEN hat lange nicht mehr so viele harte Männer und so gute Schurken erlebt. Nimm dir ein Beispiel, Barry Eisler!

Wo so viel Licht scheint, da ist doch sicher auch Schatten zu finden, oder? Leider ja. Der Roman schwächelt an seiner gruseligen Flanke. Denn immer dann, wenn der Horror wichtig wird, kommt es doch wieder zu ganz banaler Action, die so gar nicht im Reich der Toten spielt. Und, entre nous, richtig gegruselt hat’s mich nicht. Joe Hill hat die Verbindung aus starken Charakteren mit guter Story und funktionierendem Plot mit seinem Roman Blind deutlich besser verwirklicht. Wem aber ein bisschen Horror, übernatürliche Sequenzen und Unerklärliches nicht den Spaß an knochentrockner Action vermiesen, dem sei in diesem Sommer ein Ausflug nach Niceville wärmstens ans Herz gelegt.

Ach ja, zwar deutet im Roman nichts darauf hin, dass die Geschichte noch weitergeht. Anscheinend soll Niceville aber der Auftakt einer Trilogie gewesen sein.

  • Plot: Gut: Storys getrennt aber zusammenhängend; angenehme Kapitellängen und -strukturen; die Mischung aus Action und Horror funktioniert; Schlecht: das Ende: (3/5)
  • Action: Sniper, Duelle, Verfolgungsjagden, Erscheinungen (4/5) 
  • Spannung: Das gewagte Experiment, Horror und Action zu mischen, funktioniert erstaunlich gut. (4/5)
  • Charaktere: Volltreffer: Byron Deitz, Coker, Danziger, Merle Zane: Nicht nur die Namen bleiben hängen. (5/5)
  • Humor: Die Stärke von Stroud ist der lakonische Kommentar und der trockene Humor seiner harten Jungs. Am lustigsten sind die Erlebnisse des Perverslings (nomen est omen) Bock (4/5)
  • PASCH: (4/5)

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Carsten Stroud, Niceville.
Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
Verlag: Knopf (12. Juni 2012)
ISBN-10: 030770095X


http://violininavoid.files.wordpress.com/2012/06/niceville-by-carsten-stroud.jpg?w=201&h=300

Hinein in den Sog (5/5)

Adrian McKinty, Dead I Well May Be (2009) [DEAD-Trilogie Teil 1]

Michael Forsyth flüchtet aus dem gewaltgezeichneten nord-irischen Belfast der frühen 90er Jahre in das gewaltgezeichnete New Yorker Harlem der frühen 90er Jahre. Anstatt im Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken aufgerieben zu werden, der sich oft nur um einige Straßenzüge erstreckt, beginnt Michael eine irisch-amerikanische Verbrecherkarriere in einem Konflikt, der sich oft nur um einige Straßenecken erstreckt. Angekommen in Harlem macht der unehrenhaft entlassene Ex-Soldat den Fehler, eine Affäre mit der Freundin seines Bosses zu beginnen. Die perfide Rache des gehörnten Mafiosi schleudert Michael in eine Welt voll Schmerz und Leid.

Wer nach einem Viertel des Buches mit einer klassischen New Yorker Gangsterballade gerechnet hat, muss sich noch eine Zeitlang gedulden. Denn bevor es soweit ist, gerät Michael in den Schlund der Charybdis Mexiko. Wie der Taucher in Schillers gleichnamiger Ballade durchlebt Michael den Horror einer ihm fremden Welt. Die packend erzählte Geschichte seines Aufenthalts in Mexiko, den er nicht unbeschadet übersteht und der Wunsch nach Rache treiben die Geschichte unbarmherzig voran. Wohl selten war dieser Wunsch nach Rache nachvollziehbarer. Michael Forsyth wird quasi zum "Belfaster Ben Hur Harlems".

McKinty hat mit Michael Forsyth einen glaubwürdigen Protagonisten geschaffen. Die Zeichnung des New Yorker Stadtteils Harlem, bevor ein Ex-Präsident hier sein Büro bezog und Bürgermeister Giuliani die Stadt aufräumte, ist stimmig und schafft eine merkwürdig nostalgisch anmutende Atmosphäre der Brutalität und des Elends.

Wer abgehärtet-einzelgängerische Protagonisten mit einem Schuss Nachdenklichkeit mag und selbst in die Atmosphäre einer untergegangenen Welt Harlems eintauchen möchte, sollte sich an Reiseführer McKinty und den Auftakt seiner Dead-Trilogie halten. 5 Sterne!


  • Plot: Glaubwürdig von Belfast nach Harlem nach Mexiko (5/5)
  • Action: Autsch (5/5)
  • Spannung: Wird er es schaffen? (5/5)
  • Charaktere: Gute Schurken (5/5)
  • Humor: Wenn lustig, dann richtig. (5/5)
  • PASCH: (5/5)

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Adrian McKinty, Dead I Well May Be
Taschenbuch: 306 Seiten
Verlag: Profile Books (9. Juli 2009)
ISBN-10: 1846686997


Harveys Problem heißt Hawk (4/5)

Robert B. Parker, Promised Land (1976)


Privatdetektiv Spenser soll die Frau von Harvey finden. Die hat nach zweiundzwanzig Jahren Reißaus genommen.

Unabhängig davon hat Harvey Ärger mit Powers. Powers verdient sein Geld mit Geldverleihen. Für Powers wiederum arbeitet Hawk. Weil Harvey seine Schulden bei Powers nicht bezahlen kann, klopft Hawk, übrigens ein alter Sportsfreund von Spenser, Harvey weich. Währenddessen sucht die Frau von Harvey Unterschlupf bei einem feministischen Gangsterduo, das damit zum Trio wird. Eine Bank wird ausgeraubt, ein Wachmann erschossen. Und mittendrin steckt Spenser, der gleichzeitig seine Beziehung zu Susan Silverman auf eine neue Ebene bringen möchte. Wir sehen, der Plot verspricht verzwickt zu werden.

Zwischendurch muss Spenser Leute verhauen, Pläne schmieden, seine Waffe ziehen, Spaghetti kochen und lustige Sprüche vom Stapel lassen. Sein alter Kumpel Hawk verspricht in den nächsten Folgen der Reihe mehr und mehr zum Endgegner aufgebaut zu werden.

Woran man eigentlich merkt, dass der Krimi im Boston der siebziger Jahre spielt? Eigentlich nur an den ausgeflippten Klamotten und den alten Autos, die Autor Robert B. Parker wie gewohnt lakonisch beschreibt. Fazit: ein klassischer Bostoner Detektivroman mit viel Humor, jeder Menge Action und leckeren Kochrezepten.

  • Plot: verzwickt doch nie unübersichtlich (5/5)
  • Action: Haue für die Bösen (4/5)
  • Spannung: weder fingernagelzerstörend noch hektisch (3/5)
  • Charaktere: Hawk, die harte Nuss trifft Harvey mit dem weichen Keks (5/5)
  • Humor: Höhepunkt: Mobbing auf dem Revier: Clyde Klaus (4/5)
  • PASCH: (4/5)

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Robert B. Parker, Promised Land (1976)
Taschenbuch: 224 Seiten
Verlag: Dell; Auflage: Reissue (5. Dezember 1992)
ISBN-10: 0440171970


Reacher nach Rezept (4/5)

Lee Child, The Affair (2011)


In Folge 16 der Reacher-Reihe erfahren wir, warum Jack Reacher die Army verließ und sein Leben als, seien wir ehrlich, Landstreicher begann. Wir befinden uns im Jahr 1997 und der smarte Totschläger mit der Lizenz zum Kopfnussverteilen ist noch immer als Militärpolizist bei Onkel Sam angestellt.

Wer andere Teile der Serie gelesen hat, kennt Reachers merkwürdige Eigenarten. Einige davon entwickelt er in diesem Prequel. Er entdeckt, wie es ist, mit dem Bus durchs Land zu fahren. Er will uns glauben machen, dass man keine Zahnpasta braucht oder ein zweites Paar Socken oder anderen Besitz, weil das alles am Ende nur dazu führt, dass man einen Koffer kauft, einen Schrank, ein Haus und einen Garten. Und dann bist du tot. Ums Sterben geht's natürlich auch in dem Auftrag, den Reacher von seinem Vorgesetzten (alter Bekannter: Garber) erhält. Die Mission führt Reacher als eine Art verdeckter Ermittler nach Mississippi.

Im ärmsten aller Südstaaten angekommen, entwickelt sich eine klassische Reacher-Story. Lee Child hat uns die letzten 15 Jahre gekonnt an seinen Schreibstil herangeführt und oft bewiesen, dass er der Meister der lakonischen Dialoge und ausgetüftelten Plots ist. Im ersten Drittel des Buches (nachmittags) hätte ich mich am liebsten genauso weit weggeschmissen wie Reacher es mit seinen Feinden zu tun pflegt. Die Gespräche mit Garber sind Gold wert.

Die Erwartung an die neue Episode hat bestimmt mit dazu beigetragen, dass ich zunächst einige Schwächen ignoriert habe. Keine Frage: Hier haben wir es mit einem klassischen Reacher zu tun. Es ist genauso, wie man es sich wünscht. Aber so ist es auch, wenn man seinen Lieblingskuchen nur einmal im Jahr essen darf. Man freut sich und genießt es. Es ist auch nicht schlimm, dass es immer das gleiche Rezept ist, nach dem der Kuchen gebacken wird. Doch mittlerweile muss sich jeder neue Reacher-Roman mit seinen Vorgängern messen lassen, von denen es zwangsläufig immer mehr gibt. Und da liegt das Problem.

Die Ermittlungen kommen am Anfang nur schleppend voran (abends). Der Kreis der Verdächtigen ist für meinen Geschmack zu klein. Es fehlt, mal wieder, ein richtiger Gegner. Weit und breit ist niemand zu finden, der Reacher vor wirkliche Probleme stellen könnte. Die Morde sind nicht besonders rätselhaft und wirkliche Wendungen sucht man auch vergebens. Noch heute erinnere ich mich an die vertrackten Plots aus "One Shot" (One Shot. (Bantam Press Jack Reacher Novel)) oder die überraschende Wendung in "Gone Tomorrow" (Gone Tomorrow: A Reacher Novel (Jack Reacher Novels)). Es fehlt die große Verschwörung wie in "Nothing to Lose" (Nothing To Lose (Jack Reacher)) und die dramatische Todesart wie in "Running Blind" (Running Blind: A Jack Reacher novel). Deshalb darf es auch diesmal keinen fünften Stern geben (Das hat natürlich nichts mit der Entscheidung zu tun, dass Tom Cruise den Jack Reacher in der Verfilmung spielen wird...).

Im letzten Drittel des Buches (nachts) steht dann schon früh fest, wer der Mörder ist und was sein Motiv war. Kurz vor Schluss (früher Morgen) wird dann der wahre Grund für Reachers Abschied aus der Army offenbart. Als ich "The Affair" morgens zuklappte, wusste ich mehr von Reacher und war einmal mehr Zeuge einiger elaborierter Kopfnüsse geworden. Und natürlich war ich traurig, dass ich jetzt wieder ein Jahr auf den nächsten Teil warten muss. 

  • Plot: Besser als die beiden Vorgänger. (4/5)
  • Action: Kurz und schmerzvoll (4/5)
  • Spannung: (4/5)
  • Charaktere: Reacher, Garber, Deveraux (5/5)
  • Humor: Grob und schwarz (5/5)
  • PASCH: (4/5)

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Lee Child, The Affair.
Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
Verlag: Delacorte Press (27. September 2011)
ISBN-10: 0385344325


Vom eleganten Profikiller zur ungelenken Hebamme (3/5)

Barry Eisler, The Detachment (2011)


Auch noch im hohen Alter schickt John Rain Menschen ins Nirwana. Aus dem rigorosen Einzelgänger ist ein nostalgischer Teamplayer geworden. Rains Mannen haben den Auftrag, einflussreiche Männer möglichst geräuschlos abtreten und das Ganze wie einen Unfall aussehen zu lassen. Kennt man ja. Leider ist "The Detachment" ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Beliebigkeit und Austauschbarkeit der Romane Barry Eislers. In diesem neuesten Rain-Roman hat der Judoka und Halbjapaner John in erster Linie den Auftrag, den Charakter Ben Traven endlich in die Erfolgsspur zu schicken. Die Glaubwürdigkeit, die diesem bislang fehlte, soll ihm nun vom Meister des mörderischen Handwerks übertragen werden. Leider geht das daneben.

Die Geschichte wirkt verkrampft. Die Bestandteile eines spannenden Thrillers sind alle da: aber nur auf den ersten Blick. John Rain war schon immer perfekt. Hier gibt es aber zu viele Perfekte. Das Zusammenspiel mit dem nonchalanten Dox, dem Heißsporn Ben Traven und dem Dämon Larison lässt die Protagonisten wie Charaktere aus einem Comic oder Computerspiel erscheinen: Aber nur, wenn der Comic in Holz geschnitzt und das Computerspiel aus dem Jahr 1975 stammt. Jeder hat seine Superfähigkeit, einer abgebrühter als der andere.Außerdem scheint es, als würde im Laufe der Karriere von Eisler alles immer mehr darauf hinauslaufen, politische und moralische Botschaften zu vermitteln. Das ist ja durchaus legitim. Eisler geht aber immer mehr zur Holzhammermethode über, was ganz schön nerven kann. "The Detachment" wirkt wie das Buch von Jemandem, der glaubt, ein perfektes Rezept für einen Serienhelden zu haben und der meint, er sei der Erste, der eine ernsthafte Botschaft durch Belletristik vermittelt. Als würde er sich an eine Bauanleitung halten, wirken dann auch die Dialoge, in denen etwa "Paris is a Bitch" und die "Lost Coast" (beides Romane von Eisler: Paris Is A Bitch -- A Rain/Delilah Short Story, The Lost Coast -- A Larison Short Story) namentlich erscheinen. Das ist billig und leider auch dumm. Der Verweis hätte durchaus anspruchsvoller ausfallen können. Eisler gelingt es meiner Meinung nach nicht, zum hohen Niveau der ersten Romane zurückzukehren. Wenn er seine Geschichten im Geheimdienstmilieu der von ihm erdachten Welt spielen lassen will, kann er das gerne tun. Wenn aber jemand einen Roman schreibt, der in einer Serie von mehreren stehen soll (oder sogar mehrere Thriller-Serien zusammenführt), hat er meiner Meinung nach zwei Möglichkeiten. Entweder schreibt er die Geschichte so, dass sie a) auch ohne Rekurs auf die Vorgänger verständlich ist (Richard Stark kann das: Hunter: A Parker Novel (Parker Novels) und Lee Child sowieso: One Shot. (Bantam Press Jack Reacher Novel)) oder er findet b) einen harmonischen Weg, die Vorgeschichte in das Geschehen einzuflechten (Charlie Huston macht das andauernd: Half the Blood of Brooklyn (A Joe Pitt Novel)). Eisler aber hat sich für c) entschieden. Die Protagonisten erwähnen die Titel vorangegangener Romane wörtlich in ihren Unterhaltungen, gehen aber nicht wirklich darauf ein. Es ist aber nicht klar, warum sie das tun und in welchem Zusammenhang diese Vorgänger mit "The Detachment" stehen, außer dass einige der Protagonisten auch dort auftauchen. Das wirkt unbeholfen.
Auch wenn sich Eisler am Ende des Buchs für die Hilfe bei den deutschen Stellen bedankt: Bei den deutschen Namen (ein Teil der Story spielt in Wien) gibt es ein paar Fehler, die Perfektionist Rain bestimmt nicht gefallen würden. Ich möchte aber gar nicht alles schlechtreden. Die Hintergründe sind ausgezeichnet recherchiert und das Terrorszenario, das Eisler hier präsentiert, wirkt so beklemmend realistisch, dass einem Angst und Bange wird. Der Plot hingegen kann da nicht mithalten - aber gerade das war doch früher genau die Stärke von Eisler! Hier ist die Storyline zu Nebensache geraten, die nur das Fundament für Eislers Botschaft liefert.Fazit: Der Roman vermittelt deutlich das Anliegen von Barry Eisler. Aber es ist kein spannender Thriller. Gut bedient ist mit "The Detachment" jeder, der sich einen aktuellen Überblick über die (tatsächlichen?) Machenschaften vieler verschiedener internationaler Geheimdienste verschaffen möchte und deren Strukturen ein bisschen besser verstehen mögen. Ansonsten ist "The Detachment" hauptsächlich dazu gedacht, Credibility von John Rain auf Ben Traven zu übertragen.
Dox ist zu cool. Traven ist zu heißblütig. Larison ist zu böse. Und obwohl er schon immer gerne als Schatten agierte: John Rain ist hier nur noch ein Schatten seiner selbst. In den ersten Romanen war es noch faszinierend, wenn das Gute in ihm zum Vorschein kam; wenn die harte Schale dank der Witze von Dox ein paar Risse bekam. Heute aber wirkt er zu sensibel, zu nostalgisch, zu rücksichtsvoll und leider nicht mehr wie er selbst. Wenn John Rain im nächsten Roman von Barry Eisler seine Gegner im Altersheim mit speziellen Rollstuhl-Gimmicks ausschaltet, bin ich nicht mehr dabei. 

  • Plot: nicht fesselnd (3/5)
  • Action: reichlich, aber holzschnittartig (3/5)
  • Spannung: kommt selten auf (3/5)
  • Charaktere: Plastik (2/5)
  • Humor: stellenweise (unfreiwillig?) (3/5)
  • PASCH: 3/5



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Barry Eisler, The Detachment
Taschenbuch: 324 Seiten
Verlag: Thomas & Mercer (18. Oktober 2011)
ISBN-10: 1612181554