Thrillerkolumne

Thriller ohne Leserstrahlen ist wie Spenser ohne Boston, Behr ohne Indianapolis, Reacher ohne Army, Rain ohne Judo, Parker ohne Plan, Bolitar ohne Win, Forsythe ohne Whisky, McGee ohne Florida, Hank ohne Baseball, Duffy ohne Beemer...

HARRIS, An Officer and a Spy (3/5)

Zerreißprobe für Frankreich

"Thriller und Geschichtsstunde in einem"
Mit An Officer and a Spy hat Robert Harris einen historischen Roman geschrieben, der ohne viel dichterische Freiheit walten zu lassen, eine fesselnde historische Begebenheit wiedergibt. Jede Figur, ob wichtig oder nichtig, die in dem Roman um die Affäre Dreyfus auftaucht, lebte tatsächlich. Angefangen von Alfred Dreyfuß, der als Offizier der französischen Armee verdächtigt wird, Geheimnisse an die Deutschen verraten zu haben, über Major Henry, Émile Zola, Georges Clemenceau bis zum eigentlichen Verräter Esterhazy waren alle Protagonisten reale Figuren. Die eigentliche Hauptperson aber ist Georges Picquart.

 Paris (© Johannes Rothe)

Colonel Picquart gerät als neuer Chef des militärischen Nachrichtendienstes, der statistical section, in die Verwerfungen rund um die Verurteilung, Degradierung und Inhaftierung des verhassten jüdischen Elsässer Offiziers Dreyfus. Da Picquart von der Schuld von Dreyfus überzeugt ist und Juden aufgrund ihrer Nähe zu Deutschland skeptisch gegenübersteht, unterstützt er zunächst vorbehaltlos das Vorgehen des geheimen Militärtribunals gegen Dreyfus. Erst nachdem er sich in seinem neuen Amt eingelebt und ihm die wahren Hintergründe der Inhaftierung des nun auf der Todesinsel Eingekerkerten dämmern, ermittelt Picquart auf eigene Faust. Auf der Suche nach einem weiteren Verräter spürt er den einzig wahren Übeltäter auf. Da alle seine Vorgesetzten in der Armee an der Verurteilung von Dreyfus beteiligt waren, macht er sich mit seinen Ermittlungen nur Feinde.

Robert Harris hat mit seinem – im Taschenbuch 600 Seiten starken – Roman eine packende Geschichtsstunde verfasst. Auch wenn es vielleicht eine kürzere Geschichte geschafft hätte, die Ereignisse der Affäre wiederzubeleben, ist die Perspektive des ehrbaren Picquart optimal gewählt. Aus seiner Sicht entfaltet sich die Affäre zu ihrer ganzen Schwärze. Harris zeichnet die gedemütigte Stimmung Frankreichs, das gerade Elsass-Lothringen verloren hatte, in den Jahren der Affäre um den Major in den Farben Antisemitismus, Angst vor Deutschland, Spionage und Dramatik (Dreyfus‘ Verbannung auf die eigens wiedereröffnete Teufelsinsel) und schafft damit ein eindrückliches Gemälde des Frankreichs der Jahrhundertwende. Die letztliche Aufklärung der Verschwörung und insbesondere der Mut der Dreyfusards erlaubten es der französischen Republik, die Schmach um das Fehlurteil allein zu entdecken und zu bereinigen.

Was nur wenig belichtet wird, sind die gesellschaftlichen Verwerfungen um die Affäre. Der Antisemitismus taucht immer wieder prominent auf – auch Picquart misstraut den Juden. Trotzdem werden Zolas „J’accuse“ und die Verurteilung Dreyfus eben nur aus der Perspektive Picquarts und nie aus einer größeren Draufsicht geschildert. Harris hat sich für die strikte Einhaltung der Einzelperspektive entschieden. Der gesamte Roman ist außerdem im Präsens geschrieben, was die ohnehin bemerkenswerte Nähe der Ereignisse nur noch einmal verstärkt.

Plot: 3/5
Action: 3/5
Spannung: 4/5
Charaktere: 5/5
Humor: 2/5

PASCH: 3/5

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Robert Harris, An Officer and a Spy (2013)


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